Du sollst dir kein Bildnis machen: Ein aus religionstaktischen Gründen von der Redaktion abgedunkeltes Bild von Gott (Foto: Richter/KA) |
Mittelsmann: Wie geht es Ihnen heute, sehr verehrter, äh, wie redet man Sie eigentlich korrekt an?
Gott: Machen Sie sich über die Anrede keine Gedanken, lieber Herr. Namen sind bei mir nur Schall und Rauch. Und was mein Befinden angeht. Na ja, man soll die Hoffnung nie aufgeben. Wenn ich kein Optimist wäre, hätte ich euch Menschen gar nicht erschaffen. Es war ja ohnehin ein Risiko. Aber was da unten auf der Erde im Moment abgeht, ist schon zum Verzweifeln. Da schämt man sich direkt ein bisschen. Das ist so wie mit einem Autobauer, dessen Konstruktion dauernd die Räder verliert und einen Totalschaden nach dem anderen verursacht.
Mittelsmann: Was meinen Sie da genau?
Gott: Also das müssten Sie doch ahnen. Wenn da selbsternannte Retter der Welt, die sich unter Berufung auf meinen Namen und auf Religion erdreisten, barbarischste Akte zu vollziehen, dann kann ich nicht mehr schweigen. Da reicht dann auch kein Donnergrollen oder Blitzeinschlag mehr. Nur deshalb gebe ich heute dieses Interview. Ich lehne es ja ansonsten ab, mit den Medien zu kommunizieren. Die sind mir zu weltlich. Aber ich mache jetzt mal eine Ausnahme. Denn wer schweigt, der stimmt zu. Da werden unschuldige Menschen bestialisch ermordet, Frauen und Kinder verschleppt und sexuell missbraucht. Da werden wehrlose Geiseln geköpft, Piloten lebendig verbrannt, angebliche Ehebrecherinnen gesteinigt oder Homosexuelle lebendig begraben (Gott wischt sich eine Träne aus den Augen und blickt schamhaft zu Boden). Und das soll die Spezies sein, die ich erschaffen habe, deren Körpern als Abbild meiner selbst ich den Atem des Lebens eingehaucht habe (Gott schüttelt den Kopf und fängt jämmerlich zu weinen an). Und all das nicht nur von den islamistischen Terroristen, sondern zum Teil auch von anerkannten Gottesstaaten wie Saudi-Arabien oder dem Iran. Vor allem mit den gedemütigten Frauen habe ich Mitleid. Was für ein verkommenes Ehrverständnis. Niemand hat das Recht, in meinem Namen Menschen zu zwingen und zu ängstigen, zu quälen und zu foltern, zu töten und zu verdammen. Nicht mit mir.
Mittelsmann: Sondern?
Gott: Für das Gewissen im Glauben und die Verantwortung des Einzelnen. Für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Für einen Universalismus, den ich immer angestrebt habe und der schon meiner biblischen Verheißung entstammt. Da werde ich dann sogar, was sonst weniger meine Aufgabe ist, einmal richtig politisch und sage: Die Würde des Menschen als mein Ebenbild ist in den Verfassungen der westlichen Staaten besser aufgehoben als bei Teufelsanbetern, die sich als Gotteskrieger tarnen. Auch in der sogenannten westlichen Welt ist nicht alles Gold, was glänzt. Da haben sich leider viele Menschen von mir immer weiter entfernt. Aber wenn mein Maßstab das kommende Paradies ist, dann ist diese westliche Welt, vom christlich-jüdischen Abendland ausgehend, das kleinere Übel. Wie sagte doch dieser Churchill, ein kluger Mann übrigens: Die Demokratie ist ein Übel. Aber alle anderen Regierungsformen sind noch schlimmer. Und übrigens: Wer Buddha-Statuen sprengt und Bücher verbrennt, der mordet auch Menschen. Das sehen wir ja.
Mittelsmann: Vielen Dank für dieses Gespräch. Es war mir eine Ehre.
Gott: Friede sei mit Dir, mein Bruder.
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