Los-von-Berlin-Bewegung veranstaltet Massenkundgebungen in München und Wiesbaden/ Volksabstimmung soll Unabhängigkeit der Südstaaten legitimieren/Von der Leyen droht Bayern und Hessen mit Einsatz der Bundeswehr/Südstaaten mobilisieren Landwehr am "Weißwurstäquator"/Franz Beckenbauer soll bayerischer Kaiser werden/Gauck spricht von schwerster Krise seit Wiedervereinigung und appelliert an Einheit/Vermittlungsversuche Kretschmanns unter Druck eigener Bevölkerung/Seehofer und Bouffier bitten Österreich um Beistand/Aufruhr in Kassel
Von Siegfried Richter
Was sind die Farben Schwarz-Rot-Gold und damit die deutsche Einheit noch wert? (Foto: Richter/KA) |
Massendemonstrationen und geplante Volksabstimmungen in Süddeutschland
Weit über 200 000 Menschen in München und gut 50 000 in Wiesbaden haben gestern bei Kundgebungen gegen den Länderfinanzausgleich und die "Diktate aus Berlin" ihrer Wut freien Lauf gelassen. Tenor der emotional aufgeheizten Demonstrationen war der Ruf nach Unabhängigkeit. "Wir lassen uns nicht mehr am Gängelband durch die föderale Manege zerren", fasste Hauptredner Peter Gauleiter auf dem Münchner Marienplatz die Stimmung zusammen. Man stehe nach den Ausgleichszahlungen schlechter da als manches andere Bundesland, das in puncto Wirtschafts- und Finanzkraft Bayern nicht das Wasser reichen könne. "Das ist Ausbeutung des Arbeits- und Steuerpotentials unserer Bürger", so Gauweiler weiter. "Wir fordern die sofortige Erklärung der Unabhängigkeit Bayerns und seines hessischen Verbündeten", hieß es. Damit stellten sich die Anhänger Gauweilers. der sich in der jüngeren Vergangenheit durch europakritische und den Länderfinanzausgleich ablehnende Positionen innerhalb der CSU den Ruf eines "Rebellen" erworben hatte, augenscheinlich an die "Spitze der Bewegung" und stellen den radikalsten Teil der nach Eigenständigkeit strebenden Bayern dar. Während der Versammlung wurde eine sogenannte "Los-von-Berlin-Bewegung" gegründet und wurden ferner Unterschriften für ein Volksbegehren zur "vollständigen Befreiung Bayerns vom preußischen Joch" gesammelt. Dass Gauweiler bei seiner Rede von in historisch-königlicher Tracht erschienenen bayerischen Gebirgsschützen flankiert wurde, mag die Mobilisierung historischen Anspruchsdenkens unterstreichen, die auch die eigene Regierung in München unter Druck halten soll. Bei einer ähnlichen Veranstaltung in Wiesbaden vor dem hessischen Landtag vertrat der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch, der wieder in die Politik strebt, die gleiche Position. "Mein Freund Volker muss der Bundeskanzlerin und den anderen Länderchefs unmissverständlich bedeuten, dass wir keinen Spaß mehr verstehen und zu allem entschlossen sind", so Koch in Anspielung auf Hessens Premier Bouffier, der einst unter ihm Innenminister gewesen war. Langmut und Geduld seien vorbei, die Parole der Stunde müsse "Jetzt oder nie" lauten. Gerüchte, wonach es in München-Schwabing erste Tumulte und Übergriffe auf Touristen aus Berlin gegeben habe, wurden offiziell nicht bestätigt. Laut eines "Augenzeugen" soll eine "sonst brave bayerische Hausfrau" ein Ehepaar als "Saupreußen" gescholten und mit dem Satz "Schaut, dass weiter kommt's" die offensichtlich geschockten Ortsfremden zum Verlassen Bayerns aufgefordert haben. Angeblich sei auch ein Schlag mit einer Handtasche erfolgt.
Militärische Konfrontation wird wahrscheinlicher/Außenpolitische Weichenstellungen in Wiesbaden/Beckenbauer als Kaiser vorgesehen
Als Folge der Entwicklung im Süden scheint das Primat der Politik zusehends von militärischen Tönen abgelöst zu werden. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Rahmen einer Kabinettssitzung in Berlin in Abstimmung auch mit den Oppositionsparteien eine Dringlichkeitssitzung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates (Länderkammer) für die nächsten Tage anregte, drohte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Falle einer bayerisch-hessischen Unabhängigkeitserklärung mit dem Einsatz der Bundeswehr. "Wir werden das Grundgesetz verteidigen und jede Form des Separatismus bekämpfen", so die siebenfache Mutter. Unterdessen unterstrichen die Regierungschefs Horst Seehofer (CSU) und Volker Bouffier (CDU) ihre Haltungen der letzten Tage, wonach eine als sicher geltende Abweisung der Klage gegen den Länderfinanzausgleich durch das Karlsruher Bundesverfassungsgericht bei gleichzeitig unnachgiebiger Haltung von Bundesregierung und Ländern die Einstellung der Zahlungen Bayerns und Hessens und die etwaige Erklärung der Unabhängigkeit und Ausrufung eines "Süddeutschen Staatenbundes" nach sich ziehe.
Der designierte Verteidigungsminister eines solchen Staates, der Hesse Franz-Josef Jung (CDU), fuhr unterdessen mit der Rekrutierung und Aufstellung einer bayerisch-hessischen Landwehr fort, die in Teilen schon mobilisiert wurde. Die sich überwiegend aus freiwilligen Bauern und Ultragruppierungen bayerischer und hessischer Fußballanhänger zusammensetzende Truppe soll mit aus Bayern und Hessen stammenden Bundeswehrsoldaten "aufgefüllt" werden, die der Experte für Außen- und Sicherheitspolitik zur "Verteidigung der Heimat" zu den Waffen rief und baldigst vor dem Wiesbadener Schloss vereidigen will. Auf Nachfrage wollte Jung gleichwohl den Ausdruck "Aufruf zur Fahnenflucht" nicht bestätigen, da es um "Pflicht und Patriotismus" gehe. Wie bekannt wurde, sollen alleine in Hessen in den letzten Stunden mehrere tausend Bundeswehrsoldaten ihre Standorte verlassen und sich bei sogenannten "Landwehrkommandos" im Taunus gemeldet haben. Der Einwand, die neuen Streitkräfte hätten gegen die überlegene Struktur der Bundeswehr keine ernsthafte militärische Chance im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung, kostete Jung hingegen nur ein müdes Lächeln. "Vor dem Einsatz der G36-Sturmgewehre haben wir jetzt schon Angst", bemerkte der selbstbewusste Hesse süffisant. Außenpolitisch soll ein möglicher süddeutscher Staat von der ehemaligen Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) vertreten werden. Zusammen mit dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU), der als deutscher "Entbürokratisierer" in Brüssel weilt und für die "Sache der Heimat" bereit stehe, müsse, so Jung, weltweit um Anerkennung für den neuen Staat geworben werden. Erste Kontakte etwa in die Südstaaten der USA seien geknüpft, um "bündnispolitische Gespräche" zu führen. Von einer Ausrufung des Notstandes bzw. einer Generalmobilmachung wollte Jung gleichwohl nicht sprechen. "Noch setzen wir auf die politische Karte", so Jung. So schnell schössen selbst die Preußen nicht, hieß es weiter. Nicht ausgeschlossen wurden dagegen in Wiesbaden "grenzsichernde Maßnahmen" zur Vorbeugung. So könne etwa das Ausheben von Grenzwällen durch sich schon im Einsatz befindliche und teilmobilisierte Angehörige der Landwehr "auch arbeitsmarktpolitisch" einiges bewirken. "Die Leute kommen von der Straße und bekommen gleich eine sinnvolle Bewährungsaufgabe", will Jung die Rekrutierung des Arbeitslosenheeres auch als soziale Maßnahme verstanden wissen. "Disziplin und Ordnung" seien dabei als "Tugenden für den Heimatschutz" daher gerade auch bei jenen Menschen gefragt, die sich schon länger in der "sozialen Hängematte" befunden hätten und auf der Suche nach einer "sinnstiftenden Tätigkeit für Volk und Vaterland" gewesen seien, wollte Jung den erzieherischen Bezügen der Landesverteidigung keinesfalls einen geringen Stellenwert beimessen. "Das ist doch besser als Pyrotechnik bei Fußballspielen einzusetzen", will er die "Fähigkeiten und Potentiale" etwa der Ultras zukünftig einer besseren Nutzung zuführen.
Wie unter der Hand bekannt wurde, soll der ehemalige Fußballer Franz Beckenbauer im Falle einer Ausrufung der Monarchie in Bayern-Hessen als "Franz der Erste" die Funktion eines Staatsoberhauptes bekleiden. Anfängliche Vorbehalte in Hessen gegen einen "ehemaligen Spieler des arroganten FC Bayern, der unsere ruhmreiche Frankfurter Eintracht zu oft geschlagen" hätte, wurden demnach aufgegeben. Obwohl ein zukünftiger Staat als "Freistaat" angedacht ist, erscheint damit eine Mischung aus monarchischer und republikanischer Komponente staatsrechtlich nicht unwahrscheinlich zu sein. All diese Fragen sollen allerdings im Rahmen eines Verfassungskonvents bei Zeiten geklärt werden und einer "umfassenden Erörterung" ausgesetzt werden, hieß es aus informierten Kreisen.
Diplomatische Lösungsversuche und Hilferufe an Österreich
Während Bundespräsident Joachim Gauck in einem fast schon verzweifelt anmutenden Appell die Menschen "in allen Teilen unseres Vaterlandes" aufforderte, sich als "gute Deutsche" nicht auseinanderdividieren zu lassen und die "Einheit des Landes" zu wahren, scheiterten erste Vermittlungsversuche zwischen den Konfliktparteien. Der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann von den Grünen, der unter erheblichem Druck weiter Teile seiner eigenen Bevölkerung steht, pendelte in den letzten Stunden mit einem Hubschrauber der Bundesluftwaffe zwischen den Hauptstädten Berlin, München und Wiesbaden hin und her. Er, so hieß es, hätte weder mit Merkel noch Seehofer noch Bouffier eine "Basis für einen wie auch immer gearteten Kompromiss" gefunden. Die Fronten seien verhärtet. Kretschmann, der einer grün-roten Koalition in Stuttgart vorsteht und als Pragmatiker gilt, sieht sich zunehmender Kritik vieler Schwaben und Badener ausgesetzt. Ist es doch sein Bundesland, dass ähnlich wie Bayern und Hessen zu den reichen Nettozahlern im Länderfinanzausgleich gehört. "Mir schaffet, und die andere verjubele unser Geld", ließ sich eine schwäbische Hausfrau ins Vernehmen setzen. Die Unzufriedenheit darüber, dass sich Kretschmann möglicherweise unter Einfluss seiner Bundespartei nicht an der Politik Bayerns und Hessens zur "Verteidigung süddeutscher Interessen" beteilige, wachse, hieß es in Stuttgart. "Wie stark wären wir mit den Schwaben und Badenern", bedauerten Seehofer und Bouffier im Rahmen einer gemeinsamen Telefonkonferenz der Kabinette die "Abstinenz Stuttgarts". Die Vermittlungsaktivitäten Kretschmanns mögen eine Reaktion auf diese schwierige Lage sein. "Ich stehe zwischen allen Stühlen", sagte der Grüne bei einer Tischrede vor schwäbischen Industriellen, die ihn auf den sprichwörtlichen "Fleiß der Schwaben" ansprachen und "im Namen unserer Menschen" die Vertretung entsprechender Interessen forderten.
Wie die bayerische Staatskanzlei bestätigte, stünden "die maßgebenden Kräfte der bayerischen Politik mit unseren hessischen Freunden" permanent in Kontakt. Die Lage sei "gefährlich und hoch explosiv". Da im Falle einer militärischen Konfrontation "unsere junge Armee" noch nicht vollständig einsetzbar sei, habe man die Republik Österreich als "traditionellen Partner und historisch gesehen süddeutschen Verbündeten" um Hilfe und Beistand gebeten. Eine Antwort aus Wien sei vom Bundeskanzleramt Österreichs bereits avisiert. "Österreich als politisch und kulturell jahrhundertelang stärkste und einflussreichste Kraft im Rahmen der deutschen Nation und des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation hat eine besondere Verantwortung", erinnerte Seehofer an die in der Tat tragende und dominante Rolle Wiens im Deutschen Reich bis zum Aufkommen Preußens unter Friedrich dem Großen. Zudem seien Österreicher und Bajuwaren als Nachbarn und Alpenländer ohnehin "Brüder im Geist" und ethnisch wie mentalitätsgeschichtlich und kulturell "verbandelt", betonte Seehofer. "Wien war länger deutsche Hauptstadt als sonst ein Ort", spielte der CSU-Chef auf die Geschichte vor der Gründung des Deutschen Reiches als Nationalstaat unter Fürst Bismarck 1870/71 in Versailles an. Seinerzeit sei Österreich von den Preußen aus Deutschland "herausgedrängt" und somit der Weg für eine "preußische Hegemonie" in Deutschland freigemacht worden. Dies habe auch die Definition der Begriffe der "deutschen Kulturnation" oder "Deutschlands" verändert. Was heute nur wenige noch wüssten, sei die "unter Geschichtskundigen" nicht geleugnete Tatsache, dass Österreich einen großen Anteil an der deutschen Kultur und historischen Staatlichkeit habe. "So", so Seehofer weiter, "verstehe ich daher unser Ersuchen an Wien auch als Einforderung dieser historischen Verantwortlichkeiten", denen sich Österreich im Zuge einer möglichen Neuordnung der deutschen Verhältnisse nicht entziehen könne. Dieser Ausflug in die geschichtlichen Grundlagen der komplizierten deutschen Geschichte und Staatlichkeit erfuhren vom "Oberhessen" Bouffier aus dem mittel- bzw. oberhessischen Gießen allerdings eine pikante Ergänzung. "Frankfurt mit seiner stolzen Tradition als "Freie Reichsstadt" und Ort von Kaiserwahlen und Krönungen habe im 19. Jahrhundert nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches von 1806 eine "wichtige Rolle als politischer Hauptort des Deutschen Bundes" gespielt, wollte der hessische Regierungschef "das Licht meines Landes" historisch nicht unterbewertet wissen.
Aufruhr in Kassel
Zur gleichen Stunde gingen vom nordhessischen Kassel andere Signale aus. Die Nordhessen, die sich nach der Errichtung des Bundeslandes Hessen nach dem Krieg gegenüber den südlichen Landesteilen mit der Metropolregion Rhein-Main um Frankfurt herum ähnlich wie die seit gut 200 Jahren zu Bayern gehörenden Franken nicht selten etwas stiefmütterlich behandelt sehen, beziehen sich auf die Tradition Kurhessens und der Landgrafschaft Hessen-Kassel. "Wir sind immer Hessen gewesen und bleiben es. Aber wir fühlen uns nicht als Süddeutsche", verwies der ehemalige sozialdemokratische Spitzenpolitiker und Kasseler Oberbürgermeister Eichel im Rahmen einer von etwa 5000 Zuhörern besuchten Kundgebung auf Unterschiede zu den Südhessen hin. Diese hätten insbesondere im Großherzogtum Hessen-Darmstadt kulturell und politisch eine andere Prägung erfahren. Als die Preußen 1866 weite Teile Hessens und die freie Reichsstadt Frankfurt am Main als "Provinz Nassau" nicht ohne Widerwillen in ihren Staat eingebunden hätten, habe dies eine "gewisse mentale Trennung zu unseren Brüdern" im südhessischen Staat bedeutet, der weiterhin unabhängig geblieben sei. Damit. so Eichel weiter, wäre erst nach 1945 eine "echte Wiedervereinigung Hessens" erfolgt. Nicht unbeachtet wollte Eichel die komplizierte Beziehung der hessischen Regionen über Jahrhunderte lassen, die ein "Nord-Süd-Gefälle" verursacht hätten. Die nach 1866 auch zu Preußen gehörenden südhessischen Gebiete wie die Gegend um Wiesbaden (Nassau) hätten ihre "südhessische und damit mehr oder weniger süddeutsche Gesinnung" behalten, während "wir im Norden" schon aus geografischen Gründen in einer anderen Lage waren. Dass es in Nordhessen eine Abspaltung bzw. eine Eingliederung ins benachbarte Niedersachsen geben könne, wollte Eichel weder bejahen noch dementieren. Am Rande seiner mit Begeisterung aufgenommenen Rede auf dem Kasseler Wilhelmsplatz, kam es zu aufruhrähnlichen Szenen. Ein Mob junger Männer stürmte in Richtung Rathaus und rief aus: "Uns schmeckt weder Weißbier noch Apfelwein, wir wollen Kasselener sein." Augenscheinlich brechen in diesen Tagen alte Unterschiede und Widersprüche deutscher Stämme verstärkt hervor, die lange jenseits politischer Ansprüche als reine Frage kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Bezugspunkte gewertet wurde. "Einem Frankfurter mit seinem Äbbelwoi kannst Du doch nicht erklären, was ein Kasselener ist", spielte ein Handwerker aus Fritzlar auf Sprach- und Kommunikationsprobleme an. Ein "Kasselener" ist im Gegensatz zu einem "Kasselaner" nicht nur ein in Kassel Lebender, sondern in Kassel Geborener. "Ein Kasseler ist etwas zum Essen", fügte der drahtig wirkende Mitzwanziger aus. Auch diese Vorgänge in Kassel zeigten eindrucksvoll, dass der ausgebrochene Konflikt einer stark landsmannschaftlichen Komponente mit all ihren historischen und kulturell-sprachlichen Bezüge nicht entbehrt.
Wir bitten das Fehlen zahlreicher Fotos in unserem Bericht zu entschuldigen, da es infolge von Behinderungen und Störungen unserer Fotografen zu einem Bildausfall kam (Anmerkung der Redaktion).
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