Freitag, 8. Mai 2015

Streit um Länderfinanzausgleich eskaliert: Steht Deutschland vor der Auflösung?

Scharfe Reaktionen von Bundes- und Landespolitikern auf bayerisch-hessische Sezessionsbestrebungen/Merkel warnt vor Verfassungsbruch und Zerstörung des Föderalismus/ Seehofer bleibt hart und schließt Unabhängigkeit Bayerns nicht mehr aus/Bouffier erklärt Solidarität Hessens mit Bayern/Weitere Details der "Erklärung von Aschaffenburg" geben Pläne für "Süddeutschland" frei/Verfassungsgremium bereitet Staatsgebilde vor/Vorläufige Kabinettsliste einer bayerisch-hessischen Regierung steht/Verfassungsrechtler warnen vor "Putsch"/Historiker Hasenhüttl dagegen befürchtet das Aufbrechen alter Gegensätze zwischen Bayern und Preußen und gibt Berlin Mitschuld/Nato besorgt
 
Von Siegfried Richter
 
Das Verfassungsgericht in
Karlsruhe und der Länder-
finanzausgleich: Zankapfel
deutscher Politik
(Foto: PD) 
Berlin/München/Wiesbaden. Der Streit um die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ist endgültig eskaliert und läutet möglicherweise eine neue Phase der deutschen Geschichte ein, deren Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche der Politik und des gesellschaftlichen Lebens noch gar nicht zu überblicken sind. Nachdem die Geberländer Bayern und Hessen in der "Erklärung von Aschaffenburg" (wir berichteten) im Falle eines Scheiterns ihrer Verfassungsklage gegen die Regelung des Länderfinanzausgleichs eine Einstellung ihrer Zahlungen, den Austritt aus dem föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und die Gründung eines "Süddeutschen Staatenbundes" angedroht hatten, kam es im Verlauf des gestrigen Tages zu scharfen Reaktionen in der Bundespolitik und in den übrigen Ländern. Es könne nicht sein, so der Tenor über Parteigrenzen hinweg, dass Bayern und Hessen sich ihrer Verantwortung als "Zahlmeister und Packesel der Nation" entzögen. Während Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und sein hessischer Amtskollege Volker Bouffier (CDU) ihren "konsequenten Kurs der Vertretung unserer Interessen" fortsetzen wollen und sich gegenseitig ihre Solidarität versicherten, warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Namen der gesamten Bundesregierung (bei Enthaltungen der CSU-Minister) vor einem "offenen Verfassungsbruch", der die "Zerstörung unserer mühsam erworbenen föderalen Struktur" bedeuten könne. Einzelne Bundesländer seien nicht einfach in der Lage, ihre zugesagten Zahlungsverpflichtungen auszusetzen oder gar aus der Bundesrepublik Deutschland auszutreten. "Die Herren Seehofer und Bouffier spielen mit dem Feuer und legen Hand an die Einheit unserer Nation", hieß es aus dem Kanzleramt. Während namhafte Verfassungsrechtler diese Version stützten und von einem "Putschversuch" sprachen, stellte der Historiker Hasenhüttl den Konflikt in den Kontext alter preußisch-bayerischer Rivalitäten und beklagte die Arroganz gegenüber den süddeutschen Regionen. Vertreter der Nato in Brüssel wiederum zeigten sich über die neueste Entwicklung besorgt. Ein mögliches Auseinanderfallen der bundesdeutschen Staatsordnung könne, wie es ein Strategiepapier aus dem Nato-Hauptquartier suggeriert, die "Verteidigungsfähigkeit und Schlagkraft" des gesamten Bündnisses gerade in international unsicherer Lage gefährden. Die Krise in der Ukraine wie der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus seien nicht geeignet, jetzt "Neuordnungen und staatspolitische Experimente in zentralen Ländern unserer Wertegemeinschaft" vorzunehmen. Allenthalben wurden Bayern und Hessen aufgefordert, auf den "Weg der Vernunft" zurückzukehren.

Empörung und Widerstand in Bund und Land
 
Kanzlerin Merkel empört über
Bayern (Foto: PD)
Nahezu einhellig haben sich Vertreter der Bundespolitik in Regierung und Parlament gegen die Ambitionen Bayerns und Hessens gestellt und in zum Teil harschen Worten die Solidarität mit den Nehmerländern im Rahmen des Länderfinanzausgleichs und der "gesamtdeutschen Verpflichtungen auch unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten" angemahnt. Nach einer Krisensitzung im Bundeskanzleramt sprach Angela Merkel von einem "so nicht vorhersehbaren und gefährlichen Schritt" Bayerns und Hessens. Dieser Kurs könne im Falle von Zahlungseinstellungen oder gar einer Abspaltung der betreffenden Länder von "Staatsgefüge und föderaler Ordnung" in "offenen Verrat" und "die Zerstörung bundesrepublikanischer Grundlagen" münden. Die im Raum stehende Gründung eines "Süddeutschen Staatenbundes" sei nachgerade utopisch und spreche von der "politisch unreifen und abenteuerlichen Gesinnung" in München und Wiesbaden. In den Fluren des Kanzleramtes machte auch das Wort einer "bajuwarischen Verschwörung" die eilige Runde. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte das Vorgehen insbesondere der bayerischen Staatsregierung "absurd" und sprach von "staatspolitischer Brandstiftung und Zündelei". Es hätte nicht geahnt werden können, zu welch "irrationalen Handlungen" die Bayern fähig seien. Bundespräsident Joachim Gauck (parteilos) hielt sich zwar mit offiziellen Stellungnahmen zurück. Gleichwohl gingen Insider davon aus, dass auch der Hausherr von Schloss Bellevue und damit das Staatsoberhaupt die neuesten Entwicklungen mit großer Sorge betrachte. Gerade die Deutschen aus dem Osten des Landes, denen Mauerfall und Wiedervereinigung wie ein "Geschenk Gottes" erschienen seien, reagierten auf neuerliche Teilungsbestrebungen empfindlich.

Bundesinnenminister de Maiziere
empört über Bayern (Foto: PD)
"Jetzt ist der Seehofer völlig durchgedreht und die Hessen machen auch noch mit", zeigte sich der sonst für seine Sachlichkeit bekannte Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) als Verfassungsminister geschockt. Ähnlich äußerte sich Justizminister Heiko Maas (SPD), der von einem "Angriff auf unsere Staatsordnung" sprach und die Frage stellte, was "unser Verfassungsschutz und dieser BND" jenseits der Zusammenarbeit mit US-Diensten zur Terrorabwehr "eigentlich den ganzen Tag" machten. Die "persönlicher Eitelkeit und politischer Gewinnsucht bestimmter Provinzpolitiker in München und Wiesbaden" geschuldete Entwicklung hin zu "offenem Verfassungsbruch und Verrat" hätte demnach von den entsprechenden Behörden bei Zeiten vorhergesehen werden müssen. "Aber", so der Justizminister weiter, "was ist aus Bayern schon zu erwarten". Auch in den Reihen der Opposition wurden die "ewigen Störenfriede und Quertreiber" aus Bayern haupt- und ursächlich für die Krise verantwortlich gemacht. "Unmöglich, diese Batzis", machte sich Sahra Wagenknecht, die Vizechefin der Linkspartei, um die Finanzierung "wichtiger sozialpolitischer Maßnahmen gerade in Ostdeutschland" Sorgen. "Die Bayern, Hessen und Baden-Württemberger haben doch immer so schön gezahlt und jetzt wollen zwei dieser Länder frech werden", erklärte der Grüne Anton Hofreiter. Dass er selbst aus Bayern komme, tue seiner Argumentation keinen Abbruch. Vertreter der Opposition im Bundestag bestritten nachdrücklich, dass die Angelegenheit etwas mit parteipolitischen Fragen zu tun hätte, schließlich stelle sich auch die Union jenseits der besagten Länder auf die andere Seite. Gleichwohl wurde die bayerische CSU als Schwesterpartei der CDU davor gewarnt, ihren "irredentistischen und eigensüchtigen Weg" fortzusetzen, der "womöglich wirklich in der Unabhängigkeit enden" könne. Linken-Fraktionschef und Oppositionsführer Gregor Gysi vermutete in diesem Zusammenhang "schwerwiegende Zerwürfnisse" innerhalb der CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft. So hätte er mitbekommen, wie CSU-Landeschefin Gerda Hasselfeldt und CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt Fraktionschef Volker Kauder (CDU) mit "offenem Bruch der Fraktionsgemeinschaft" gedroht haben. Daraufhin sei es in den Räumlichkeiten einer Bundestagstoilette zu einer Handgreiflichkeit zwischen Dobrindt und Kauder gekommen, die erst durch einen herbeigerufenen Sicherheitsbeamten hätte bereinigt werden können. Der für seine cholerisch-emotionalen Ausbrüche bekannte Kauder habe Dobrindt zuvor minutenlang am Hemdkragen festgehalten und nicht wieder loslassen wollen. Augenscheinlich liegen die Nerven bei allen Beteiligten blank.
 
Nordrhein-Westfalens Regierungs-
chefin Kraft empört über Bayern
 (Foto: Richter/KA)
Nicht minder setzten sich Vertreter der Länderregierungen und ihrer Parlamente kritisch mit der Position Bayerns und Hessens auseinander. "Die sollen zahlen wie es sich gehört, schließlich brauchen wir das Geld", gab Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller zu Protokoll und meinte damit nicht nur die mit dem Hauptstadtstatus Berlins zusammenhängende Finanzierung. "Warum soll der Arbeitnehmer da unten im Süden nicht weiter jene Wohltaten begleichen, die wir unters Volk streuen", meinte Müller und sprach ansonsten von "enormen Anstrengungen", die "gerade wir Berliner" in den letzten Jahren bei der Haushaltskonsolidierung gemacht hätten. "Die sollen ihren unverschämten Mund halten", pflichtete Hannelore Kraft, ihres Zeichens Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, bei. Ähnliche Kommentare kamen etwa aus dem Saarland oder Bremen. Insbesondere Bayern habe "unsere Menschen jahrzehntelang durchgefüttert" und sei verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun. "Wieso wollen die denn jetzt auf einmal nicht mehr", geriet eine nicht näher genannte Mitarbeiterin der saarländischen CDU-Ministerpräsidentin Katrin Karrenbacher-Karrenbauer (oder so, wer denkt sich um Himmels Willen solche Namen aus; Anmerkung der Redaktion) in Rage. Bayern habe nach dem Krieg als armer Agrarstaat auch vom Länderfinanzausgleich profitiert. Nur weil der Freistaat etwas daraus gemacht habe und heute nach allen Statistiken glänzend dastehe, wollten die Bayern jetzt nicht mehr "für alle Zeit und Ewigkeit" zahlen, hieß es weiter. "Die sind doch nicht ihren Bürgern und Steuerzahlern verpflichtet", fügte jemand hinzu. Auffällig blieb jenseits detaillierter Diskussionen um die komplexen Verästelungen und historischen Bezüge des Länderfinanzausgleichs und des föderalen Systems insgesamt, dass die Oppositionsparteien in Bayern und Hessen betont zurückhaltend auf die Ereignisse reagierten. So war etwa vom ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten und Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) keine Stellungnahme zu erfahren. Beobachter schließen nicht aus, dass die "Front der Patrioten" (Zitat von Seehofer) in diesen Bundesländern bis hinein in die Reihen der Opposition reicht.
 
Bayern und Hessen stehen fest zusammen/Weitere Schritte angekündigt/"Aschaffenburger Erklärung" wird konkretisiert/Verfassungsgremium diskutiert neues Staatsgebilde/Kabinettsliste aufgetaucht
 
Seehofer bleibt hart
(Foto: Michael Lucan,
Lizenz: CC BY-SA 3.0
"Wir bleiben bei unseren Auffassungen und sind gewillt, den Kurs der konsequenten Interessenpolitik für unsere Arbeitnehmer und Bürger insgesamt fortzuführen", heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung von bayerischer und hessischer Staatskanzlei. "Die 'Erklärung von Aschaffenburg' gilt und bleibt Grundlage unserer Politik", zeigten sich Seehofer und Bouffier entschlossen. Gebe der Bund und die anderen Länder in Sachen Finanzausgleich unseren Forderungen nicht nach, werde es "gewaltig krachen" und würden "adäquate Schritte zur Umsetzung unserer Ziele" erfolgen. Neben politischen, ökonomischen und militärischen Weichenstellungen (Einberufung der Landwehr) wurden konkrete Ausarbeitungen für die Konstituierung eines sogenannten "bayerisch-hessischen Freistaates" bekannt, die in der "Erklärung von Aschaffenburg" umrissen werden. Ein hochkarätig besetzter sogenannter "Verfassungsausschuss" bereite eine "Verfassungsgebende Versammlung" vor, hieß es. Am Ende dieses Prozesses könne eine "süddeutsche Unabhängigkeitserklärung" nach dem Vorbild der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 stehen. "Wir sind doch keine Kolonie der Preußen", betonte Seehofer die "gewachsene Eigenständigkeit Bayerns und des Volkscharakters seiner Menschen". Auch seinerzeit hätten die Briten den Fehler gemacht, den Freiheitswillen der Menschen in den amerikanischen Kolonien zu unterschätzen. Damals, so der historisch bewanderte Seehofer, hätten die "ständigen Gängeleien und Steuererpressungen" unter dem Motto "No Taxation without representation" zur sogenannten "Bostoner Tea-Party" geführt, bei der von aufgebrachten Bürgern britische Teelieferungen ins Wasser geworfen worden seien und der "Startschuss für die amerikanische Revolution" erfolgt wäre. "Bei allen Unterschieden zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sage ich: Treibe es niemand zu weit. Wir sind mit unserer Geduld am Ende", konstatierte der Ingolstädter entschieden.

Bayerische Staatskanzlei in München:
Hier tagt der Verfassungsausschuss
von Bayern und Hessen
(Foto: Oliver Kurmis, Lizenz:
CC BY-SA 2.0)
Die Ausarbeitungen des "Verfassungsausschusses", der im Verborgenen angeblich schon monatelang getagt haben soll, sind weit fortgeschritten.   Von der staatsrechtlichen Verfasstheit eines neuen Staates bzw. Staatenbundes über die Besetzung eines zukünftigen gemeinsamen Kabinetts bis hin zu der Frage einer gemeinsamen Fußball-Nationalmannschaft würden die Überlegungen reichen, hieß es. Die von Dr. Müller-Wohlfahrt, einem renommierten Verfassungsrechtler der Universität München, angeführte bayerische Delegation erwartet mit der hessischen Seite "keine einfachen Gespräche". So sei etwa die Frage, ob der neue Staat im Sinne der bayerisch-königlichen Tradition eher monarchistisch oder freistaatlich-republikanisch auszurichten wäre, durchaus umstritten. So hätten sich Vertreter der hessischen Delegation dem Vorschlag verschlossen, das zu begründende Gemeinwesen unter Franz Beckenbauer dem Ersten als Kaisertum auszurufen. "Wir lassen uns doch nicht von einer Ikone des FC Bayern regieren", soll ein Vertreter Hessens, der gleichzeitig im Aufsichtsrat des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt sitzt, geäußert haben. Konsens scheint aber mittlerweile darüber zu bestehen, dass eine konstitutionelle Monarchie mit stark republikanischen Bezügen wünschenswert wäre, zumal Bayern als "Freistaat" ohnehin eine starke republikanische Tradition besitzt. Dieses Mischmodell sei der Bevölkerung beider Länder in "Anknüpfung an beste Traditionen" gut zu vermitteln. "Wir müssen unsere Menschen mitnehmen", rief Bouffier aus und spielte dabei auch auf die "sensiblen Regionen Franken und Nordhessen" an. Dort sei das Bedürfnis nach Eigenständigkeit angesichts "gewisser gewachsener Ängste, gegenüber den jeweiligen Metropolgebieten im Süden der Bundesländer zu kurz zu kommen, groß", so Bouffier. Das neue Staatsgebilde sei am ehesten als bayerisch-hessische Föderation mit weitreichenden Kompetenzen für die Provinzen denkbar. Aus Kassel etwa heiße es, dass man sich mit dem Begriff "Süddeutschland" aus geografischen und mentalitätsgeschichtlichen Gründen schwer tue. "Da muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden", wies der Oberhesse Bouffier auf Widersprüche und mögliche Konfliktlinien auch innerhalb künftiger Landesteile hin. Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautete, soll es bereits eine vorläufige Kabinettsliste für eine Regierung geben. Neben Seehofer und Bouffier als Ministerpräsident bzw. Stellvertreter und Wirtschaftsminister finden sich illustre Namen aus der aktuellen und früheren Politik beider Länder zusammen. In einer dem Kalauer Anzeiger anonym zugespielten Aufstellung werden Markus Söder (Finanzen), Dr. Günther Beckstein (Inneres), Roland Koch (Justiz), Franz-Josef Jung (Verteidigung) und Ilse Aigner (Äußeres) geführt. Letztere soll durch ihr charmantes Aussehen die bayerisch-hessische Diplomatie weltweit verkörpern. Weitere Einzelheiten der Verfassungsgespräche und Planungen sollen in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.

Verfassungsrechtler warnen vor Spaltung/Historiker Hasenhüttl ängstigt Neuauflage des preußisch-bayerischen Konfliktes und versteht Süddeutsche

Historiker Hasenhüttl
erläutert den Nord-Süd-
Konflikt und ergreift
Partei für Bayern
(Foto: Ron Kroon,
Anefo, Nationaal
Archief, Lizenz:
CC BY-SA 3.0)
Namhafte Verfassungsrechtler und Historiker zeigten sich mehr als besorgt und sprachen teilweise gar von einem "Sündenfall deutscher Politik", der in dieser Form einmalig sei. Während Rechtsgelehrte darauf hinwiesen, dass die föderale Ordnung und das Grundgesetz einen Austritt einzelner Länder aus der Bundesrepublik Deutschland so nicht vorsähe und zur "Spaltung unserer Föderation und Nation" führen könne, warnten zahlreiche Historiker vor einer "Neuauflage des alten bayerisch-preußischen Gegensatzes", der vor der Gründung der Bundesrepublik jahrzehntelang virulent gewesen und nie richtig gelöst worden sei. Wie der weltweit anerkannte Geschichtswissenschaftler Theodor Hasenhüttl von der Universität Harvard erklärte, sei der "gerade auch mentalitätsgeschichtlich und religiös geprägte Dualismus" zwischen den nordöstlichen und südlichen Regionen und Provinzen des Deutschen Reiches über Jahrhunderte ein ernstzunehmender Konflikt gewesen, der keinesfalls unterschätzt werden dürfe. Seit Friedrich der Große Preußen neben Österreich zur zweitstärksten Macht der deutschen Nation entwickelt und nach der von Österreich und seinen süddeutschen Verbündeten verlorenen Schlacht bei Königgrätz (Böhmen, 1866) Bismarck im Zuge der sogenannten "kleindeutschen Lösung" Österreich aus Deutschland herausgedrängt habe, sei der "süddeutsche Anspruch gegen preußisches Dominanzstreben und Hegemonialansprüche" auf Bayern übergegangen. Bayern aber sei alleine zu schwach gewesen. Der "protestantische Kulturkampf" Fürst Bismarcks gegen das katholisch-barocke Bayern hätte ein "autoritätsgläubiges und in Teilen militaristisches Deutschland" nach der Reichsgründung 1871 heraufbeschworen, das dann in der "nationalsozialistischen Katastrophe" geendet sei. Dies dürfe sich nicht wiederholen, so dass "preußisch geprägte Bundesländer im Nordosten" und ihre "politische und kulturelle Arroganz" gegenüber den "mitunter störrischen und eigensinnigen Bergvölkern im Süden" der Vermittlerrolle des Bundes bedürften. "Da sind bei der Regelung des Länderfinanzausgleichs Fehler auf allen Seiten gemacht worden, die die Idee des Föderalismus nachhaltig beschädigt haben", so Hasenhüttl. "Bayern und Hessen zahlen zu viel, die Berliner meckern zu viel und sind undankbar, die Bundesregierung moderiert und regelt nichts", forderte Hasenhüttl ein Umdenken. Möglicherweise aber sei es schon zu spät, da es Bayern und sein Bundesgenosse Hessen bei einem Scheitern des Länderfinanzausgleichs mit der Unabhängigkeit ernst meinten.

Nato-Stellen nervös

Im Hauptquartier der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft in Brüssel reagierten zuständige Stellen mit Sorge auf die Ereignisse in Deutschland. "Wir wollen uns in die inneren Angelegenheiten unserer deutschen Partner nicht einmischen, fordern aber die Aufrechterhaltung der militärischen Schlagkraft der Bundeswehr", befürchtet ein Sprecher der Nato im Falle eines Auseinanderbrechens der Bundesrepublik negative Konsequenzen. In hohen Militärkreisen sei man sich einig, dass die politische Einheit Deutschlands für das militärstrategische Gewicht erheblich sei. "Wenn Bayern und Hessen sich selbstständig machen, gehen wir zwar von einer Mitgliedschaft in der Nato aus, aber das Aufstellen einer neuen Armee braucht Zeit und würde uns alle vor Fragen stellen", sieht ein Berater des Nato-Generalsekretärs Probleme auf seine Organisation zukommen. "Das wäre im Bündnis ein Präzedenzfall, mit dem wir erst einmal umgehen müssten", hieß es. Er wisse, so der erfahrene Militärstratege und Diplomat weiter, wie sehr gerade in den Vereinigten Staaten der deutsche Beitrag zur Nato geschätzt werde. "Auch wenn die Deutschen mit ihrer Ausrüstung und diesen G36-Gewehren ein paar Problemchen haben", fügte der aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden wollende Engländer mit einem Schmunzeln auf den Lippen hinzu. Stellungnahmen aus Washington selbst waren bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen.                                      
              

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