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Berlins Regierender Wowereit (Foto: Olga Bandelowa, Lizenz: Creative Commons By-SA 2.0 DE) |
Bereits seit drei Jahren werden die Verhandlungen mit Nachdruck geführt. Ziel ist, wie es in einem unserer Zeitung vorliegenden geheimen Strategiepapier heißt, eine "reibungslose und friedliche Eingliederung der mehrheitlich von Türken bzw. Muslimen bewohnten Stadtviertel Berlins in das Istanbuler Gebiet, um den einwanderungspolitischen und demografischen Realitäten Rechnung zu tragen". Während sich die deutsche Seite eine Entlastung des vergleichsweise hohen Sozialetats für die betroffenen Teile der Stadt erhofft, möchte der Istanbuler Bürgermeister Ahmed Mustafa die Homogenität der Bevölkerungszusammensetzung erhöhen. Dem standen bis zuletzt verwaltungs- und verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Im Kern ging es um die Frage, ob und inwieweit Teile einer Stadt in eine andere ausgegliedert werden können, ohne den territorialen Rahmen der Staatlichkeit zu sprengen. Deutsche Verwaltungsexperten und Verfassungsrechtler halten das Vorhaben für nicht durchführbar, hingegen argumentieren ihre türkischen Kollegen mit einer sogenannten "Realitätsklausel". Dieses Konstrukt geht davon aus, dass die soziale und kulturelle Wirklichkeit in einem Stadtbereich unter veränderten Bedingungen einer strukturell-technischen Anpassung bedürfe.
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Innensenator Henkel (Foto: Oliver Wolters, Lizenz: Creative Commons BY-SA 3.0 DE) |
Aufgebrachte türkische Jugendliche zogen noch in der Nacht über den Neuköllner Hermannplatz und den Leopoldplatz im Wedding, um gegen den Entschluss zu demonstrieren. "Türkische Viertel zur Türkei", skandierten sie und warfen der deutschen Seite Rassismus vor. "Da wurde eine große Chance verpasst, der mittlerweile beschlossenen doppelten Staatsbürgerschaft für die jüngere Generation von Migranten nun weitere Taten folgen zu lassen", ließ sich ein Vertreter der türkischen Gemeinde ins Vernehmen setzen. Danach wäre es dann möglich gewesen, zugleich deutscher und türkischer Staatsbürger zu sein und sich ganz offiziell Bewohner Istanbuls zu nennen, ohne die Bundesrepublik verlassen zu müssen. Dies wäre auch in Einklang mit Aussagen des integrationspolitisch sehr engagierten türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zu bringen, der in letzter Zeit seine demokratisch-humanistische Großoffensive durch die Disziplinierung der Opposition und das Abschalten verderblicher Sozialer Dienste in seinem eigenen Land zielstrebig vorangetrieben hat. "Es geht nicht darum, die Türkei näher an Europa zu rücken, sondern eine Stadt wie Berlin noch fester an die Türkei zu binden", fasst der tolerante ehemalige Bürgermeister von Istanbul sein Credo zusammen.
Obwohl die Verschiebung der Eingliederung für die Integration der deutschen Einwohner in die türkischen Milieus ein herber Rückschlag genannt werden muss, können die noch vorhandenen Widerstände nicht vollständig dem bloßen Unwillen und der Voreingenommenheit westlicher Politiker und ihrer Wählerschaft zugeschrieben werden. Namhafte Experten und Wissenschaftler des migrationspolitischen Komplexes weisen nicht zu Unrecht darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine solch einschneidende Maßnahme wie die Integration ganzer Stadtviertel in einen anderen Kulturkreis grundsätzliche Weichenstellungen verlange. So sprechen nahezu alle migrationspolitischen Sprecher der linken Parteien wie auch Soziologen davon, dass etwa in Neukölln und im Wedding das Festhalten der nicht-muslimischen Bürger an überkommenen Traditionen eine raschere Homogenisierung von Verhaltensweisen und Werten verhindere. "Töchtern wird die Partnerwahl überlassen, Frauen laufen am hellichten Tag ohne Kopftuch durch die Gegend, Männer verzichten freiwillig auf ihre Ehre, Homosexuelle treiben ungehindert ihr Unwesen", zählt der bekannte Migrationsforscher Dieter Haltlos nur die "Spitze des Eisberges" auf. Er bittet gleichzeitig um Verständnis dafür, da die einst heimische Bevölkerung aus Gewohnheit noch zu sehr den westlichen Ansprüchen von Zivilisation und Kultur anhänge. "Es sind noch nicht alle soweit", fügt er hinzu. Sein türkischer Kollege Mohammed Mohammed bestätigt dies, streicht aber neben der beklagenswerten Resistenz auch die Fortschritte heraus: "Immer mehr deutsche Frauen haben muslimische Männer und übernehmen die religiösen Wertmaßstäbe, tragen Kopftücher und lassen sich die Vorzüge eines Weltbildes erklären, das auch ohne westliche Luxuserrungenschaften wie Frauenrechte, Toleranz und persönliche Freiheit auskommt." Als besonders bedauerlich empfinden es viele, dass auch tolerante Türken und insbesondere Aleviten sich diesen Verlockungen einer offenen Gesellschaft scheinbar nur schwer entziehen können. Dem scheint auch die Politik zu entsprechen. Geduld also ist gefordert, dann klappt es auch mit der Integration.
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So war es einmal und so könnte es wieder sein: Deutsche Frauen mit Kopftuch (Foto: Richard Peter/ Deutsche Fotothek, Lizenz: Creative Commons BY-SA 3.0 DE) |
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