Montag, 7. April 2014

Putin-Festspiele gehen weiter

Bericht von Iwan Rebroff
 
Putin eilt von Sieg zu Sieg
(Foto: www.kremlin.ru)
Moskau. Es ist wie im Rausch. In der russischen Hauptstadt ist die Stimmung euphorisch. Nach den Olympischen Spielen in Sotschi und der Wiedergewinnung der Krim ist das Volk geeint wie nie und kommt aus dem Jubeln kaum noch heraus. Nationalismus und Imperialismus sind wieder Teil der Staatsdoktrin. Präsident Wladimir Putin ist jetzt nach Josef Stalin und Iwan dem Schrecklichen schon auf Platz 3 der ewigen Beliebtheitsliste des Riesenreiches. Er hat der vom Untergang der Sowjetunion und dem Siegeszug des demokratischen Westens zutiefst gedemütigten Nation die Würde zurückgegeben. Den ukrainischen Faschisten wurde eine tiefe Wunde geschlagen. Mit Hilfe der Faktoren Militär und Energie kann die Erpressungsstrategie zur Rückholung Ost- und Mitteleuropas an die Brust Mütterchen Russlands weitergehen. Die fünften Kolonnen stehen bereit. "Who's next", fragt die Londoner Times. Auch in deutschen Talkshows wird auf den Siegeszug bei Kaviar und Krimsekt angestoßen. Wen kümmert da schon das Völkerrecht, wenn es das Recht des Stärkeren auch tut.



So ist es ...
(Foto: Avazovsky/PD)
 
 Russland knüpfte schon vor Jahren mit der Befreiung Ossetiens (vormals Georgien) und seiner russischen Bevölkerung an die besten Traditionen seiner Geschichte an. Durch Landraub und Einverleibung anderer Völkerschaften wurde das Land unter den Zaren groß. Diese Ruhm und Ehre versprechende Vorgehensweise wurde nach der Gründung der Sowjetunion konsequent fortgesetzt, Imperialismus und Kommunismus gingen eine fruchtbare und würzige Mischung ein. Die glorreiche Oktoberrevolution, bei der natürlich auch ein paar Köpfe allzu widerspenstiger Elemente rollten, löste eine ähnlich ausgelassene Stimmung im Volk aus wie das Oktoberfest in München. Nur halt mit Wodka und nicht mit Bier. Kurzzeitig wurde mit dem Hitler-Stalin-Pakt selbst eine Liaison mit dem faschistischen Deutschen Reich eingegangen, um der praktischen Aufteilung der jahrhundertelang zwischen den beiden großen Blöcken eingekeilten Region ordnungspolitisch ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Die Segnungen dieser liebevollen Umarmung der großen Nachbarn bekamen insbesondere die Balten und die Polen zu spüren. Letztere hatten ja schon bis zum Ersten Weltkrieg die dreimalige Teilung ihres Landes als Ergebnis der preußisch-russischen bzw. deutsch-russischen Zangenbewegungen wie ein Supermarkt erlebt. Jeder darf sich bedienen, solange der Vorrat reicht.

Und so könnte es bald wieder sein ...
(Foto: Dmitry Averin, Lizenz:
CreativeCommons by-sa 3.0-de)
Da es die deutsche Seite im Zweiten Weltkrieg mit dem Drang nach Osten etwas übertrieb, fiel sie danach für diese angestammte Rolle aus. Die Sowjetunion unter Stalin hatte nun freie Bahn und gliederte Ostmitteleuropa großzügig ein. Bald durch Einverleibung von Gebieten, bald durch die Schaffung zahlreicher Satelliten, die auch den Weltraum so bunt machen. Natürlich sind da in dieser Ära ein paar unschöne Sachen passiert, aber das wird heute in Russland zurecht nicht so hoch gehenkt und tut der nationalen Begeisterung keinen Abbruch. Es geht eben auch ohne rote Zaren und Kommunismus. Die Symbiose aus Kremlclique und Oligarchenmafia sorgt schon dafür, auch wenn die politische Mitbestimmung der Bürger und die gerechte Verteilung der Ressourcen nicht so ganz gegeben ist. Aber für Bürgerrechtler und Oppositionelle, Freunde des Westens oder Schwule ist eben im heutigen Russland kein Platz. Das korrespondiert auch hervorragend mit der außenpolitischen Bilanz Putins in Sachen Menschenrechte. Während jede Initiative des idealistisch-dekadenten Westens in dieser Hinsicht im UNO-Weltsicherheitsrat zusammen mit den chinesischen Brüdern im Geiste blockiert wird, hält man dem Massenmörder Assad in Syrien politisch den Rücken frei. Ohne die dreiste Einmischung der Amerikaner hätte man sogar im letzten Jahr die Kontrolle der eingesetzten Massenvernichtungswaffen abwenden können. Seit den 90er Jahren hat Russland ja wieder Erfahrung darin, als der fortgesetzte Völkermord von Milosevic auf dem Balkan im Sinne der alten Waffenbrüderschaft mit dem serbischen Nationalismus unterstützt wurde.

Und jetzt die Ukraine. Im Osten des Landes lässt der Kreml wie auf der Krim ein paar ferngesteuerte Schlägertrupps los. Hier eine Provokation, dort eine Besetzung. Dann wird ein Referendum unter den Brüdern und Schwestern der ach so unterdrückten russischen Minderheit anberaumt, das natürlich mit Hilfe der gleichgeschalteten Medien gewonnen wird. Dann ist das Feld für die Heimholung ins Reich durch die stolze ehemalige Rote Armee, die schon friedlich an der Grenze wartet, nur noch eine Formsache. Ebenso die politische Eingliederung. Das ist die gerechte Strafe dafür, dass die Menschen in der Westukraine das russische Marionettenregime von Janukowitsch so undankbar davongejagt haben. Die wollen nach Europa, befürworten Rechtsstaatlichkeit und Freiheit und haben auf dem Maidan in Kiew monatelang bei Nacht und Kälte dafür ausgeharrt. Da mussten die Sicherheitskräfte der alten Ordnung vor dieser sogenannten Revolution der Faschisten und Halunken leider noch etwa 80 Tote unter diesen Unverbesserlichen produzieren. Und jetzt haben sogar die Balten und Polen und andere Völker vor Russland Angst. Mein Gott, die sollen sich doch nicht so anstellen mit ihrer Unabhängigkeit und Demokratie und sich nicht so stur dem russischen Einfluss entziehen. Es war doch früher so schön.

Und was macht der Westen ? Allen voran die Amerikaner, wer denn sonst, hat diesen Völkern nach dem Zerfall der Sowjetunion eingeredet, dass die westliche Wertegemeinschaft ihre Zukunft ist. Da passt es ins Bild, dass man sie nicht nur in die EU, sondern auch noch in diese fürchterliche NATO gezwungen hat, die doch das gutmütige Russland nur demütigen will und mit diesen fremdartigen Traditionen wie Demokratie und Menschenrechten bedroht. Russland hätte sich das nie gefallen lassen dürfen. Die Mitgliedschaft in der NATO, die von diesen renitenten Ländern frech als "Lebensversicherung" betrachtet wird, verkompliziert naturgemäß die lieb gemeinte Expansion des russischen Modells der Völkerverständigung. Aber die eher zögerliche Handhabung von Sanktionen durch den Westen ist ein Beweis dafür, dass die von Russland seit Jahren geschaffenen Abhängigkeiten von Öl und Gas strategisch wirken und klug gewählt sind und den politischen Handlungsspielraum des gegnerischen Lagers einschränken.

Hier in Russland kommt es dagegen sehr gut an, dass im Gegensatz zu den Nachrichtensendungen in deutschen Talkshows die Russlandversteher über alle Lager hinweg sich so vehement für eine aktive Partnerschaft mit dem Land einsetzen und die russischen Befindlichkeiten so in den Vordergrund schieben. Das ergänzt sich gut mit Auftritten des russischen Botschafters oder russischer Journalisten, die Propaganda aus erster Hand liefern. Da stören das Völkerrecht oder die Befindlichkeiten anderer Völker doch nur die Harmonie. Es kann dann schon einmal passieren, dass die ehemaligen Polit- Appeaser Egon Bahr und Erhard Eppler die machtpolitischen Interessen Russlands über Werte und Ideale stellen. Man ist ja dann doch Humanist, die alten Reflexe der Entspannungs- und Friedensfraktion funktionieren noch. Von den Altkanzlern Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, für die Menschen- und Bürgerrechte jenseits westlicher Staaten ohnehin überflüssiger Luxus sind bzw. die Arbeit an der Seite des lupenreinen Demokraten Putin für den halb Europa erpressenden russischen Energiekonzern Gazprom so einträglich ist, war ohnehin nichts anderes zu erwarten. Oder der auf einer Liste von Antisemiten des Simon Wiesenthal Centers stehende Herausgeber Jakob Augstein, nur weil er die Verteidigung des Existenzrechtes durch Israel für ein Kriegsverbrechen hält. Für ihn kann das Völkerrecht schon einmal übersehen werden, wenn es gilt, die Russen dieser Welt wieder in einem Staat zu vereinigen. Oder ehemalige Korrespondenten in Moskau, für die etwa die Ukraine zu Zeiten der Sowjetunion wieso nur eine Provinz des Reiches war. Und mit den Menschenrechten hat es halt Russland nicht so. Das braucht noch Zeit, da die ja nicht so leicht zu verstehen sind. Also Verständnis, Verständnis, Verständnis. Reden bis zum Exzess mit jenen, die gar nicht reden wollen und Fakten schaffen. Und immer schön Amerika und der NATO die Schuld geben. Immer dieser herrliche Reflex, der sie fragen lässt, was denn der Westen wieder alles falsch gemacht hat. Da muss man es mit Ursache und Wirkung, Opfern und Tätern nicht so genau nehmen. Und dann natürlich noch der unvermeidliche Peter Scholl-Latour, der mit seiner Verachtung der Universalität der Menschenrechte und der Amerikaner stets Begeisterungsstürme beim unmündigen Publikum erntet. Wie hat der Journalist Hajo Schumacher es sinngemäß so schön und ob seiner spontan gelungenen Formulierung mit überrascht-stolzem Ton in der Stimme gesagt: Die USA machen doch wieso alles nur wegen des Öls. Auf diese geniale und frei von Verschwörungstheorien und Antiamerikanismus gesponnene Interpretation käme man angesichts des Faktors Öl in der russischen Außenpolitik gar nicht gleich. Aber schließlich haben die Amerikaner ja auch den Kampf gegen Hitler-Deutschland nur wegen der Ölquellen in der Nordsee geführt. Ebenso ging es auf dem Balkan, in Afghanistan oder bei der NATO-Erweiterung nur darum. Von den Wirtschaftslobbyisten erfahren wir, dass Sanktionen nichts bringen und beiden Seiten schaden. Auch eine interessante Logik, zumal ja eine aktive Menschenrechtspolitik grundsätzlich immer dem Geldverdienen abträglich ist und als lästig erscheint. Da reiht sich auch der ehemalige Ministerpräsident Matthias Platzeck aus Brandenburg als neuer Vorsitzender des deutsch-russischen Forums schön ein und trommelt kräftig für sein geliebtes Russland. Für ihn fängt das Land scheinbar gleich hinter der Oder an, von polnischen Interessen keine Rede. Russland dankt für diese moralischen und intellektuellen Höchstleistungen dieser großen Geister. Wer sie ruft, wird sie nicht mehr los.

Dieses Medienbild korrespondiert, glaubt man den Umfragen, mit der Gemütslage einer knappen  Mehrheit der Deutschen. Nicht, dass man keine Angst vor Russland hätte oder das vorpubertäre Verhalten des Präsidenten mit ständiger Bezeugung seiner Manneskraft durch den freien Oberkörper und psychopathisch anmutenden Drohgebärden gegenüber dem Westen auf Pressekonferenzen als besonderen Nachweis politischer Reife sähe. Aber die Deutschen machen das, was sie immer machen und womit sie gut gefahren sind. Bei elementaren Herausforderungen für die westlichen Werte: Wegducken, auf die Knie gehen, Türen und Fenster schließen und hoffen, dass das Gewitter vorüberziehen wird. Leidenschaftliches Eintreten für Menschenrechte und Völkerrecht könnte ja dazu führen, dass da jemand böse wird. Und das wollen wir doch nicht. Naivität ist halt doch die beste Form von Pazifismus. Die Weltgeschichte hat gezeigt, dass ein solches Verhalten noch jeden Diktator, Völkermörder oder Autokraten besänftigt hat. Münchner Abkommen ? Wehret den Anfängen ? War da was ? Und überhaupt: Was geht uns die Ukraine an. Wo liegt die denn eigentlich ? Sicher hinter dem Ural. Na ja, wir lachen über die Amerikaner, weil die Luxemburg und Liechtenstein miteinander verwechseln. Wir als große Europäer können nicht einmal Slowenien von der Slowakei unterscheiden. Überlasst diesen ominösen Osten doch den Russen. Unsere NATO-Partner im Osten sollen sich auch nicht so anstellen. Mit der Beistandspflicht muss man es doch nicht so genau nehmen. Hauptsache wir haben über deren Köpfe hinweg einen Frieden mit dem mächtigen Russland. Ursache und Wirkung, Opfer und Täter interessieren da nicht so sehr. Rückrat oder Mut ? Was ist das ? Solidarität ? Wieso und für wen ? Hauptsache, wir leben in Freiheit und Wohlstand. Ansonsten, wie auch früher, überlassen wir die Drecksarbeit den Amerikanern und anderen und zeigen dann mit dem Finger auf sie. Also liebe Regierung, bitte keine Sanktionen. Und ja keine gemeinsamen Militärmanöver mit den Polen oder Balten. Da ist es schon lästig, dass Bundespräsident Joachim Gauck oder grüne Europaabgeordnete wie Werner Schulz und Rebecca Harms es da mit ihrer Kritik an Russland und Putin so übertreiben. Man muss ja nicht gleich wie die Linkspartei und ihre Anhänger offen für den russischen Nationalismus und Imperialismus eintreten, um den Kampf gegen den Westen und die bösen Amerikaner zu führen. Aber irgendwie ist die NATO schon suspekt. Lasst uns doch in Frieden und Demokratie leben, ohne etwas dafür zu tun. Alle Gegner des Humanismus werden es dankend registrieren.

             

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