Günter der Grasse war ein deutsches Gesamtkunstwerk: SS-Mann, Schriftsteller, Nobelpreisträger, moralische Instanz und Antizionist
Von Chefredakteur Siegfried Richter
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Günter Grass (rechts) mit einem Kollegen (Foto: Michal Kobylinski, Lizenz: CC BY-SA 2.5) |
Literarisch milde Kritiker
Dabei attestierten seine Kritiker Grass durchaus große Fähigkeiten als Schriftsteller, der mit großer Sprachgewalt etwa im Roman "Die Blechtrommel" schon 1959 ein literarisch anspruchsvolles und später von Regisseur Volker Schlöndorff nicht minder gut verfilmtes Werk vorgelegt hatte, das sich mit den Auswirkungen des verbrecherischen NS-Regimes und seinen einschneidenden Auswirkungen auf das Leben in seiner Heimatstadt Danzig nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 beschäftigte. Auch wurde ihm, abgesehen von unseren lieben Ewiggestrigen von der Braunbärfraktion, trotz der seinerzeit bei Konservativen sehr strittigen Parteinahme für die Ostpolitik Willy Brandts sein Engagement für die Versöhnung mit dem leidgeprüften polnischen Nachbarn als ehrliche und anerkennenswerte Haltung vielfach respektvoll in Rechnung gestellt. Ebenso verhielt es sich mit seiner Sympathie für die Sozialdemokratie. Dass er den Literaturnobelpreis verliehen bekam, wurde durchaus selbst von seinen Kritikastern begrüßt.
Gottgegebene Autorität ohne Gnade
Doch diese mildernden Umstände gestattete Grass seinen Kritikern im Umkehrschluss natürlich nicht. Wieso auch? Hatten sie doch sein Monopol auf die moralisch und intellektuell unterfütterte Wahrheit anzuerkennen und nicht etwa sträflich zu missachten. Kritiker selbsternannter Oberkritiker sind aber in einem Milieu, das sich den dümmlichen Konservativen oder auch nur in Nuancen andersdenkend Daherkommenden grundsätzlich und immer als haushoch überlegen erwiesen hat, nicht gefragt. Warum auch? Es wäre ja noch schöner, wenn die erklärten Gralshüter der linkspolitischen Korrektheit bzw. einer alleine seeligmachenden Weltsicht Konkurrenz im Kampf um den mühsam erkämpften "Platz an der Sonne" zuließen und damit ihre Deutungshoheit unnötig preisgeben würden. Daher waren die ständigen und moralingeträngten Ausfälle gegen alles, was ihm als "konservativ bis reaktionär" und damit als verachtenswert galt, die überlebenswichtigen Abwehrreaktionen einer natürlichen Elite. Selbstzweifel sind da ohnehin nicht angebracht. Zweifel anderer an dieser sich selbst verliehenen Rolle konnten daher keinesfalls toleriert und mussten als das bezeichnet werden, was sie waren: Beißattacken rückständiger und uneinsichtiger Spurenelemente des politischen Bürgertums. Spießer allesamt, vielleicht sogar Nazis. Kein grober Klotz war Keil genug. Oder umgekehrt. Wer ihn kritisierte, musste also den politischen Rechthaber, die moralische Autorität, den Literaturschaffenden und mithin die gesamte Klasse der besseren Deutschen meinen. Ein bequemer Modus, um sich Kritik vom Halse zu schaffen? Verleumdung? Gekränkte Eitelkeit oder geistiger Größenwahn? Natürlich nicht. Nein und dreimal Nein. Vielmehr gottgegeben. Und damit Schluss.
Selbstverständlich und wohlfeil: Die Feindbilder des Günter Grass
Dieses Selbstverständnis wirkte sich im Rahmen seiner politischen Kernerarbeit als Literat naturgemäß nachhaltig aus. Den deutschen Bürgerlichen oder Konservativen, welche Etikette auch immer für ein klares Feindbild herzuhalten hatten, die Leviten zu lesen, war stetige Übung. Die deutsche Einheit selbst dann noch als gleichsam "geschichtsvergessene und nationalistische Gefahr" zu diffamieren, als selbst nicht wenige andere Linke ihre jahrzehntelangen Tiraden gegen "kalte Krieger" und "deutschnationale Größenwahnsinnige" im Zuge der Wende in Mittel- und Osteuropa eingestellt oder verdrängt hatten und heute im Übrigen so tun, als wären sie schon immer für die Wiedervereinigung und eine klare Haltung gegenüber der kommunistischen Welt im Sinne westlicher Werte gewesen, hat eine eigene Qualität. Da musste sich die Lichtgestalt des deutschen Nachkriegsgeistes, der sich gegen den "Zeitgeist" wandte und ihn doch selbst mit prägte, dann auch mit diesem lästigen Marcel Reich-Ranicki anlegen, nur weil der die Dreistigkeit besessen hatte, als Literaturkritiker Literatur zu kritisieren bzw. die heiligen Kühe linker Dogmatiker zu schlachten. Das geht ja gar nicht. Und dann noch ein Jude. Martin Walser lässt grüßen. Aber das ist ein weites Feld. Den immerwährenden Fehlern der westlichen Welt unter Berufung auf die eigene Rolle als "Kritiker von hohen Gnaden" zu entsprechen, instinktiv eingeübte Selbstverständlichkeit. Dass dieser Wutschwall mit den USA die Führungsmacht traf, verstand sich von selbst und lag in der Natur der Sache. Dabei gab es nach dem Krieg genügend alte und neue Nazis mit ihrem verlogenen Umgang mit der eigenen Geschichte und der kolossal-singulären Schuld, die Deutschland alleine schon durch den Holocaust an den europäischen Juden auf sich geladen hatte. Jene Alt- und Neunazis, deren Begriff von Nation und Volk eine fortwährende Absage an alles Humanistische in Moral und Verstand bleibt. Aber Grass bediente in Wirklichkeit andere Feindbilder, die sich und seinen Anhängern zur Positionierung der eigenen moralischen und intellektuellen Autorität dienten. Bravo!
Sonderfall Israel: Ein heikles Thema gerät zum antizionistischen Vermächtnis
Und nun Israel. Da kam erst spät jener überragend große Mut, um zu sagen, was nach eigener Aussage "gesagt werden muss": Israel als Atommacht ist eine Gefahr für den Weltfrieden! Donnerwetter! Endlich hat einmal jemand ausgesprochen, was neben den meisten Muslimen und Rechtsradikalen auch viele Antizionisten und Antisemiten in allen möglichen Lagern und mit allen möglichen ideologischen Bezügen denken. Eine Großtat der Courage fürwahr angesichts der seit Jahren bis weit in den linken und bürgerlichen Mainstream hineingehenden und inflationär auftretenden Lesart, bald latent und bald offen geäußert, wonach die Lösung des Nahostkonfliktes alleine vom "Bösewicht Israel" und seinen "Handlangern an der amerikanischen Ostküste" verhindert wird. Wer steht da wem und was im Wege? Das wird doch gesagt und benannt werden dürfen, dröhnt es forsch und mit dem Unterton der sonst so verachteten Spießbürger und Stammtischbrüder aus dem Munde des ach so aufgeklärten, geschichtsbewussten und allzeit zum Nachhilfeunterricht für allen und jeden bereitstehenden Einsprechers und Oberlehrers. Über jeden Zweifel erhaben und gegen jeden Verdacht immun. Das Einstimmen in einen vielstimmigen und altbekannten Chor als mutige Großtat und Tabubruch deklariert. Das scheinbar Unterschwellige quillt über und das angeblich nicht Ausgesprochene oder Auszusprechende wird ausgesprochen. Bravo! Antizionismus als ein Akt der Notwehr eines immer noch um Akzeptanz ringenden Welterklärers, der gehört werden will und ein Vermächtnis vorzubereiten hat. Ein Vermächtnis, das allenfalls relativiert wird von den Stimmen der Äquivalenz und Äquidistanz, die gleichsam als "neutrale Schiedsrichter" beiden Seiten des Nahostkonfliktes die Vernunft absprechen und einer vielschichtigen Opfer-Täter-These das Wort reden. Nun sollen die Juden und die Araber doch endlich einmal klar kommen und sich unserer deutschen Monopolstellung, alles zu wissen und zu können, hörend und verstehend bedienen. Ach, es könnte alles so schön sein, wenn es nur nach uns ginge. Und wer steht jenseits wohlfeiler Solidaritätsadressen dem entgegen? Nur eine Minderheit, die, angegriffen und sich ständig rechtfertigen müssend, eindeutig und konsequent Partei für Israel ergreift. Israel, weil es die einzig sichere Heimstatt des historisch so gedemütigten Judentums und seiner kulturell und religiös verfemden Juden ist. Israel, weil es als einzige und wahrhaftige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten mit einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundordnung und toleranten Gesellschaft einen Stellvertreterkrieg für die westliche Zivilisation und ihre Werte kämpft, der in weiten teilen der muslimischen Welt als Zumutung empfunden wird. Israel, weil es politisch und sicherheitspolitisch trotz oder gerade wegen der geostrategisch ungünstigsten aller Voraussetzungen eine Realität ist und gerade wir als Deutsche eine besondere Verantwortung haben. Denn nicht nur die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachkommen sind Davongekommene, sondern auch die Nation der Täter und ihrer Nachkommen ist eine Davongekommene. Israel, weil es sich seit seiner Neugründung nach der Shoah in von Alters her angestammtem Gebiet den gesammelten Vernichtungsphantasien und Vernichtungsstrategien seiner Nachbarn und Feinde aus einer Position der Stärke so vital und überlebensmächtig entgegenstellt wie die diskriminierten und verfolgten Juden es über Jahrhunderte in der Diaspora aus einer Position der Schwäche und mithin mit anderen Mitteln zu tun gezwungen waren. Israel, weil ein wirklicher Frieden und eine angestrebte Zwei-Staaten-Lösung angesichts der eklatanten Unterschiede in Sachen Kultur, Religions- und Werteverständnis im Kontext des Humanismus und der Aufklärung nicht an jenen scheitert, die ihr Recht auf Selbstbestimmung und staatliche Existenz als Voraussetzung dafür einfordern. Dass dies bereits mit der Ablehnung des UN-Teilungsbeschlusses 1947 noch vor der Gründung des jüdischen Staates 1948 von den Palästinensern deutlich gemacht wurde, hat den Obermoralisten und Oberintellektuellen mitsamt den allermeisten seiner Gesinnungsgenossen genauso wenig gestört wie die späteren Angriffskriege der arabischen Nachbarnationen zur Vernichtung Israels und seiner Bevölkerung. Dass die jüdischen Siedler sich im Gegensatz zu den arabischstämmigen israelischen Staatsbürgern im Kerngebiet Israels verbarrikadieren und von der Armee beschützt werden müssen, um nicht gelyncht und ermordet zu werden, hat die allgemeine Kritik an der Siedlungspolitik Israels nie gestört. Warum sollte dies also einen Besserwisser wie Grass stören. "Juden raus" in neuem Gewande. Der politische Antizionismus, wonach sich Israel jenseits wohlfeiler Lippenbekenntnisse seiner angeblichen Freunde bei Verteidigung seiner eigenen Existenz Kriegsverbrechen schuldig macht, wird durch die Abwesenheit seiner biologisch-rassistisch daherkommenden Schwester namens Antisemitismus in diesen Kreisen nicht etwa ungefährlicher. Die Wirkungsmacht bis in die Mitte der Gesellschaft macht vielmehr den Brandstifter zum Biedermeier. Aber für Grass waren die Biedermeier und Brandstifter natürlich immer die anderen. Bravo!
Nimbus des ehemaligen SS-Mannes bleibt gewahrt
Wer also ist mutig? Wer bricht Tabus? Wer kann Moral und Geist als Humanismus für sich reklamieren? Natürlich nur Günter Grass!!! Soll man ihn da als Linker bei seinen Verdiensten kritisieren? Manche Linke haben es getan. Auch nicht wenige Sozialdemokraten, die sich die aufrichtige Solidarität mit Israel und dem jüdischen Volke etwas kosten lassen. Denn wer muss sich rechtfertigen und wer vertritt eine unbequeme Position? Doch dies geschieht an dieser Stelle natürlich nicht. Jener Grass, auf dessen ermahnende Worte an die zu Opfern der Juden und nur zu Opfern der Juden erhöhten Palästinenser, die sich mehrheitlich in Islamismus und also Antizionismus und Antijudaismus ergehen und vielfach den alltäglichen Terror der einschlägigen Mörderbanden von Hamas bis zur Hisbollah gegen Israel und explizit gegen seine zivilen Bewohner unterstützen, man vergebens gewartet hat. Jene Palästinenser bzw. Araber bzw. Muslime, die bald jubelnd und bald fanatisch ihre Märtyrer feiernd, eine klare Alternative zum jüdischen Staat träumen. Jener Grass, der ein unmissverständliches Wort zu den bestialischen Realitäten in weiten Teilen der islamischen Welt hat vermissen lassen. Dagegen funktionierte sein antiwestlicher Reflex stets als ach verfeinerte Variante des westlichen Intellektualismus und Moralismus, der zu widersprechen ein aufgeregtes Poltern nach sich zog. Kritik am Westen als Kritik um der Kritik willen, statusgeleitet und in Wirklichkeit prinzipienfern. Aber was macht das jenen Kräften aus, die sich im Olymp sehen und eifersüchtig den Türschlüssel zur Walhalla mitsamt ihrer Deutungsversessenheit gegen Einwände jedweder Art bewachen. Und schließlich jener Grass, der seinen Nimbus trotz nicht unerheblicher Kritik gerade an seinen Aussagen zu Israel als Säulenheiliger des linkselitären Weltverständnisses mindestens bei seinen unerschrockenen Verteidigern beibehalten hat. Bis in den Tod hinein. Jener Grass, der als Randnotiz seiner Biographie und der Weltgeschichte sich spät als ehemaliger SS-Mann zu erkennen gab. Ein SS-Mann in jungen Jahren und nur kurzzeitig. Aber immerhin denn doch alt genug, um dem späteren Ultramoralisten und Richter Gnadenlos und Erbarmungslos, jenem späteren Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger ein paar Kratzer und Schrammen zu verpassen. Aber einem Denkmal kann das nichts anhaben. Ein politischer Säulenheiliger mit literarischen Anwandlungen. Oder umgekehrt. Und ein Stellvertreter Gottes in diesem Sinne. Es lebe Günter der Große. Ein wahrhaft grasser Typ. In Ewigkeit und Amen!
Selbstverständlich und wohlfeil: Die Feindbilder des Günter Grass
Dieses Selbstverständnis wirkte sich im Rahmen seiner politischen Kernerarbeit als Literat naturgemäß nachhaltig aus. Den deutschen Bürgerlichen oder Konservativen, welche Etikette auch immer für ein klares Feindbild herzuhalten hatten, die Leviten zu lesen, war stetige Übung. Die deutsche Einheit selbst dann noch als gleichsam "geschichtsvergessene und nationalistische Gefahr" zu diffamieren, als selbst nicht wenige andere Linke ihre jahrzehntelangen Tiraden gegen "kalte Krieger" und "deutschnationale Größenwahnsinnige" im Zuge der Wende in Mittel- und Osteuropa eingestellt oder verdrängt hatten und heute im Übrigen so tun, als wären sie schon immer für die Wiedervereinigung und eine klare Haltung gegenüber der kommunistischen Welt im Sinne westlicher Werte gewesen, hat eine eigene Qualität. Da musste sich die Lichtgestalt des deutschen Nachkriegsgeistes, der sich gegen den "Zeitgeist" wandte und ihn doch selbst mit prägte, dann auch mit diesem lästigen Marcel Reich-Ranicki anlegen, nur weil der die Dreistigkeit besessen hatte, als Literaturkritiker Literatur zu kritisieren bzw. die heiligen Kühe linker Dogmatiker zu schlachten. Das geht ja gar nicht. Und dann noch ein Jude. Martin Walser lässt grüßen. Aber das ist ein weites Feld. Den immerwährenden Fehlern der westlichen Welt unter Berufung auf die eigene Rolle als "Kritiker von hohen Gnaden" zu entsprechen, instinktiv eingeübte Selbstverständlichkeit. Dass dieser Wutschwall mit den USA die Führungsmacht traf, verstand sich von selbst und lag in der Natur der Sache. Dabei gab es nach dem Krieg genügend alte und neue Nazis mit ihrem verlogenen Umgang mit der eigenen Geschichte und der kolossal-singulären Schuld, die Deutschland alleine schon durch den Holocaust an den europäischen Juden auf sich geladen hatte. Jene Alt- und Neunazis, deren Begriff von Nation und Volk eine fortwährende Absage an alles Humanistische in Moral und Verstand bleibt. Aber Grass bediente in Wirklichkeit andere Feindbilder, die sich und seinen Anhängern zur Positionierung der eigenen moralischen und intellektuellen Autorität dienten. Bravo!
Sonderfall Israel: Ein heikles Thema gerät zum antizionistischen Vermächtnis
Und nun Israel. Da kam erst spät jener überragend große Mut, um zu sagen, was nach eigener Aussage "gesagt werden muss": Israel als Atommacht ist eine Gefahr für den Weltfrieden! Donnerwetter! Endlich hat einmal jemand ausgesprochen, was neben den meisten Muslimen und Rechtsradikalen auch viele Antizionisten und Antisemiten in allen möglichen Lagern und mit allen möglichen ideologischen Bezügen denken. Eine Großtat der Courage fürwahr angesichts der seit Jahren bis weit in den linken und bürgerlichen Mainstream hineingehenden und inflationär auftretenden Lesart, bald latent und bald offen geäußert, wonach die Lösung des Nahostkonfliktes alleine vom "Bösewicht Israel" und seinen "Handlangern an der amerikanischen Ostküste" verhindert wird. Wer steht da wem und was im Wege? Das wird doch gesagt und benannt werden dürfen, dröhnt es forsch und mit dem Unterton der sonst so verachteten Spießbürger und Stammtischbrüder aus dem Munde des ach so aufgeklärten, geschichtsbewussten und allzeit zum Nachhilfeunterricht für allen und jeden bereitstehenden Einsprechers und Oberlehrers. Über jeden Zweifel erhaben und gegen jeden Verdacht immun. Das Einstimmen in einen vielstimmigen und altbekannten Chor als mutige Großtat und Tabubruch deklariert. Das scheinbar Unterschwellige quillt über und das angeblich nicht Ausgesprochene oder Auszusprechende wird ausgesprochen. Bravo! Antizionismus als ein Akt der Notwehr eines immer noch um Akzeptanz ringenden Welterklärers, der gehört werden will und ein Vermächtnis vorzubereiten hat. Ein Vermächtnis, das allenfalls relativiert wird von den Stimmen der Äquivalenz und Äquidistanz, die gleichsam als "neutrale Schiedsrichter" beiden Seiten des Nahostkonfliktes die Vernunft absprechen und einer vielschichtigen Opfer-Täter-These das Wort reden. Nun sollen die Juden und die Araber doch endlich einmal klar kommen und sich unserer deutschen Monopolstellung, alles zu wissen und zu können, hörend und verstehend bedienen. Ach, es könnte alles so schön sein, wenn es nur nach uns ginge. Und wer steht jenseits wohlfeiler Solidaritätsadressen dem entgegen? Nur eine Minderheit, die, angegriffen und sich ständig rechtfertigen müssend, eindeutig und konsequent Partei für Israel ergreift. Israel, weil es die einzig sichere Heimstatt des historisch so gedemütigten Judentums und seiner kulturell und religiös verfemden Juden ist. Israel, weil es als einzige und wahrhaftige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten mit einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundordnung und toleranten Gesellschaft einen Stellvertreterkrieg für die westliche Zivilisation und ihre Werte kämpft, der in weiten teilen der muslimischen Welt als Zumutung empfunden wird. Israel, weil es politisch und sicherheitspolitisch trotz oder gerade wegen der geostrategisch ungünstigsten aller Voraussetzungen eine Realität ist und gerade wir als Deutsche eine besondere Verantwortung haben. Denn nicht nur die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachkommen sind Davongekommene, sondern auch die Nation der Täter und ihrer Nachkommen ist eine Davongekommene. Israel, weil es sich seit seiner Neugründung nach der Shoah in von Alters her angestammtem Gebiet den gesammelten Vernichtungsphantasien und Vernichtungsstrategien seiner Nachbarn und Feinde aus einer Position der Stärke so vital und überlebensmächtig entgegenstellt wie die diskriminierten und verfolgten Juden es über Jahrhunderte in der Diaspora aus einer Position der Schwäche und mithin mit anderen Mitteln zu tun gezwungen waren. Israel, weil ein wirklicher Frieden und eine angestrebte Zwei-Staaten-Lösung angesichts der eklatanten Unterschiede in Sachen Kultur, Religions- und Werteverständnis im Kontext des Humanismus und der Aufklärung nicht an jenen scheitert, die ihr Recht auf Selbstbestimmung und staatliche Existenz als Voraussetzung dafür einfordern. Dass dies bereits mit der Ablehnung des UN-Teilungsbeschlusses 1947 noch vor der Gründung des jüdischen Staates 1948 von den Palästinensern deutlich gemacht wurde, hat den Obermoralisten und Oberintellektuellen mitsamt den allermeisten seiner Gesinnungsgenossen genauso wenig gestört wie die späteren Angriffskriege der arabischen Nachbarnationen zur Vernichtung Israels und seiner Bevölkerung. Dass die jüdischen Siedler sich im Gegensatz zu den arabischstämmigen israelischen Staatsbürgern im Kerngebiet Israels verbarrikadieren und von der Armee beschützt werden müssen, um nicht gelyncht und ermordet zu werden, hat die allgemeine Kritik an der Siedlungspolitik Israels nie gestört. Warum sollte dies also einen Besserwisser wie Grass stören. "Juden raus" in neuem Gewande. Der politische Antizionismus, wonach sich Israel jenseits wohlfeiler Lippenbekenntnisse seiner angeblichen Freunde bei Verteidigung seiner eigenen Existenz Kriegsverbrechen schuldig macht, wird durch die Abwesenheit seiner biologisch-rassistisch daherkommenden Schwester namens Antisemitismus in diesen Kreisen nicht etwa ungefährlicher. Die Wirkungsmacht bis in die Mitte der Gesellschaft macht vielmehr den Brandstifter zum Biedermeier. Aber für Grass waren die Biedermeier und Brandstifter natürlich immer die anderen. Bravo!
Nimbus des ehemaligen SS-Mannes bleibt gewahrt
Wer also ist mutig? Wer bricht Tabus? Wer kann Moral und Geist als Humanismus für sich reklamieren? Natürlich nur Günter Grass!!! Soll man ihn da als Linker bei seinen Verdiensten kritisieren? Manche Linke haben es getan. Auch nicht wenige Sozialdemokraten, die sich die aufrichtige Solidarität mit Israel und dem jüdischen Volke etwas kosten lassen. Denn wer muss sich rechtfertigen und wer vertritt eine unbequeme Position? Doch dies geschieht an dieser Stelle natürlich nicht. Jener Grass, auf dessen ermahnende Worte an die zu Opfern der Juden und nur zu Opfern der Juden erhöhten Palästinenser, die sich mehrheitlich in Islamismus und also Antizionismus und Antijudaismus ergehen und vielfach den alltäglichen Terror der einschlägigen Mörderbanden von Hamas bis zur Hisbollah gegen Israel und explizit gegen seine zivilen Bewohner unterstützen, man vergebens gewartet hat. Jene Palästinenser bzw. Araber bzw. Muslime, die bald jubelnd und bald fanatisch ihre Märtyrer feiernd, eine klare Alternative zum jüdischen Staat träumen. Jener Grass, der ein unmissverständliches Wort zu den bestialischen Realitäten in weiten Teilen der islamischen Welt hat vermissen lassen. Dagegen funktionierte sein antiwestlicher Reflex stets als ach verfeinerte Variante des westlichen Intellektualismus und Moralismus, der zu widersprechen ein aufgeregtes Poltern nach sich zog. Kritik am Westen als Kritik um der Kritik willen, statusgeleitet und in Wirklichkeit prinzipienfern. Aber was macht das jenen Kräften aus, die sich im Olymp sehen und eifersüchtig den Türschlüssel zur Walhalla mitsamt ihrer Deutungsversessenheit gegen Einwände jedweder Art bewachen. Und schließlich jener Grass, der seinen Nimbus trotz nicht unerheblicher Kritik gerade an seinen Aussagen zu Israel als Säulenheiliger des linkselitären Weltverständnisses mindestens bei seinen unerschrockenen Verteidigern beibehalten hat. Bis in den Tod hinein. Jener Grass, der als Randnotiz seiner Biographie und der Weltgeschichte sich spät als ehemaliger SS-Mann zu erkennen gab. Ein SS-Mann in jungen Jahren und nur kurzzeitig. Aber immerhin denn doch alt genug, um dem späteren Ultramoralisten und Richter Gnadenlos und Erbarmungslos, jenem späteren Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger ein paar Kratzer und Schrammen zu verpassen. Aber einem Denkmal kann das nichts anhaben. Ein politischer Säulenheiliger mit literarischen Anwandlungen. Oder umgekehrt. Und ein Stellvertreter Gottes in diesem Sinne. Es lebe Günter der Große. Ein wahrhaft grasser Typ. In Ewigkeit und Amen!
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