Sonntag, 19. April 2015

Sind Ernie und Bert schwul? Republikaner fordern Machtwort von Obama!

Gender Studies in Sesamstraße angekommen/Aufregung im ganzen Land/Erbitterte Debatte im US-Kongress
 
Reportage von unserem Korrespondenten Mark Twain
 
US-Präsident Obama soll in Sachen
Ernie und Bert ein Machtwort sprechen
(Foto: PD)
Washington. Helle Aufregung in den USA. Was Millionen von Kindern in aller Welt seit Jahrzehnten Freude und lehrreiche wie kurzweilige Stunden beschert hat, ist zum Objekt harter gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen geworden. Die beliebte Serie "Sesamstraße", erfolgreich und immer noch auf Sendung, wurde von ihren Machern völlig neu konzipiert. Die neue Drehbuchautorin Susan Sontag (37), die an der Stanford University ein Diplom in Gender Studies (Geschlechterforschung) erworben hat, zeichnet dafür verantwortlich und soll nach dem Willen der Verantwortlichen frischen Wind in den "ideologisch etwas verstaubten" Dauerbrenner bringen, der auch Generationen von deutschen Kindern viel Spaß gebracht hat. Die engagierte Frauenrechtlerin und bekennende Feministin hat in der jüngst ausgestrahlten Folge aus den langjährigen Serienstars Ernie und Bert ein alterndes Schwulenpärchen gemacht. Der liebenswerte Griesgram Oscar stellt einen Veteran aus dem Vietnamkrieg dar, der sich verbittert in eine Mülltonne zurückgezogen hat. Miss Piggy tobt als Emanze durchs Programm und hat den Frosch Kermit geohrfeigt und wegen sexueller Belästigung angezeigt. Und das Krümelmonster gibt als schwarzer Professor Seminare über Rassismus. Immer wieder laufen im Hintergrund kleine Hippie-Mädchen durchs Bild.  Während Vertreter von Minderheiten und die politische Linke das neue Format begrüßen, laufen konservative und christliche Gruppen Sturm. Schon fordern die Republikaner im US-Kongress ein Machtwort von Präsident Barack Obama und einen "Untersuchungsausschuss für unamerikanische Umtriebe".


 Verunsicherung und Polarisierung
 
Wo steht Amerika? Flagge einer
verunsicherten Nation (Foto: PD)
Telefondrähte glühten heiß, aufgeregte Stimmen und ungläubiges Staunen in Radio- und Fernsehsendungen, ein Shitstorm jagte den anderen im Netz. Erste Protestdemonstrationen und eine Sondersitzung des Parlamentes. Was sich innerhalb von 24 Stunden nach der Ausstrahlung der ersten Folge der neuen Staffel der Sesamstraße im ganzen Land und insbesondere in der Bundeshauptstadt Washington D.C. abspielte, hatte nahezu historische und fast schon hysterische Züge. Einige Beobachter wollten in den emotional aufgeheizten Diskussionen und dem angespannten Klima beinahe schon jene Aufgeregtheiten und politischen Dimensionen erkannt haben, die etwa die Aufdeckung der Watergate-Affäre in der Nixon-Ära oder das Attentat auf Präsident Abraham Lincoln mitten im Bürgerkrieg hervorgerufen hatten. Manche glaubten sogar an die sogenannte Lewinsky-Affäre in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts erinnert zu werden, als Bill Clinton und sein etwas zu musikalisches Arbeitsverhältnis zu einer blutjungen Praktikantin zu einem Amtsenthebungsverfahren geführt hatte, das den Präsidenten fast um sein Amt brachte. Seinerzeit war im Weißen Haus der Blasmusik ein etwas zu hoher Stellenwert eingeräumt worden. Selbst wenn diese Vergleiche einigermaßen übertrieben erscheinen mögen, war die Veränderung am Morgen danach mit Händen zu greifen. Wie musste die Ausstrahlung dieser Sendung für Kinder, bei der auch mancher bildungsferne Erwachsene sich durch die eingängigen Lieder und Beiträge über Buchstaben noch auf den späten Weg der Alphabetisierung gemacht hatte, das Selbstverständnis einer ansonsten für gewöhnlich selbstbewussten Nation berührt haben, der gleichwohl als Weltmacht Konflikte und innere wie äußere Anfechtungen nicht fremd sind. "Verunsicherung und Polarisierung allenthalben in unserer Gesellschaft", wie es der Soziologe James Fenimore Cooper von der Harvard University ausdrückte. Durch ideologische Unterschiede und sozioökonomische Verwerfungen der Moderne würden Konflikte eskalieren und der Zusammenhalt immer mehr aufgeweicht. Die Debatten um Ernie und Bert seien da nur das Symptom einer Orientierungssuche, das zu Stagnation und Lähmung führen und den "Common Sense unserer Nation" gefährden könne. Auf die Frage, ob Ernie und Bert schwul seien, wollte der renommierte Professor nicht antworten. "Die Wissenschaft ist noch nicht so weit, aber wir arbeiten daran", konstatierte er.
 
Spaltung in Gesellschaft und Politik
 
Sondersitzung beider Häuser des
US-Kongresses (Foto: PD)
Religiöse Basisgruppen aus dem Süden und eher ländlich geprägten Regionen sprechen von einem Kulturkampf, der ihnen aufgezwungen werden soll. "Wir lassen uns doch von wildgewordenen linken Spinnern nicht unsere öffentliche Moral und unseren Anstand untergraben", polterte der erzkonservative Fernsehprediger und Presbyterianer Pat Robertson los. Weder hätten Emanzen oder Vietnamveteranen etwas in einer Sendung für Kinder zu suchen noch seien Ernie und Bert schwul. Außerdem lehne er Homosexuelle grundsätzlich ab, ob nun in der Sesamstraße oder nicht. Auch ein katholischer Priester meldete sich zu Wort und gab zu Protokoll, dass er seinen Kindern die Sesamstraße nach "diesen ungeheuerlichen Vorkommnissen" verbieten werde. Schon machte das Wort vom "Boykott" die Runde. Die Empörung griff schnell auf führende Vertreter der politischen Rechten über und führte zu scharfen Angriffen auf den politischen Gegner. "Das sind doch die gleichen unrasierten und langhaarigen Monster auf dem Bildschirm, die bereits in den 60er Jahren unsere Städte heimgesucht und unsere Parteitage belagert haben", forderte Mitch McConnell, republikanischer Mehrheitsführer im Senat, ein Machtwort von Präsident Obama. Angeblich stünden die neuen Macher der Serie dem linken Flügel der Demokraten nahe. "Stoppen Sie diesen Gender-Wahn, der unsere Kinder und Jugendlichen vergiftet", fügte der Mann aus Kentucky hinzu. Sein Parteikollege John Boehner, Vorsitzender der Mehrheitsfraktion im Abgeordnetenhaus, wollte in besagter Folge der Sesamstraße sogar gesehen haben, dass der von ihm nach eigener Aussage als Junge sehr verehrte Oscar im Rollstuhl gesessen und ein Plakat gegen den Krieg in Vietnam hochgehalten hätte. "Das geht so nicht, wir fordern einen Untersuchungsausschuss für diese unamerikanischen Umtriebe", wurde Boehner seinem Image als Hardliner, der sich seit Jahren erbitterte Auseinandersetzungen mit Obama liefert, gerecht.
 
Während sich das Weiße Haus bedeckt hielt und in dieser heiklen Angelegenheit möglicherweise ein klares Statement scheut, erwiderten Sprecher der Demokratischen Partei in beiden Häusern des Kongresses die Kritik der Republikaner. "Endlich spiegeln sich die Realitäten in unserer Gesellschaft endlich auch in den Kinderprogrammen wider", bewertete John Boy Walton, Abgeordneter aus Maine, "die neue mediale Entwicklung" positiv. "Sie machen sich doch etwas vor", reagierte Walton direkt auf die Angriffe von Boehner und forderte die Republikaner auf, endlich die "gesellschaftliche Vielfalt in unserem Land" zu akzeptieren. Die künftige Präsidentschaftskandidatin und ehemalige Außenministerin Hillary Clinton meldete sich mit dem Vorschlag zu Wort, Adoptionen für Puppen in Fernsehsendungen für den Fall zu erleichtern, dass Ernie und Bert das Quietscherentchen für immer zu sich holen wollten. "Da müssen wir etwas am Adoptionsrecht für Homosexuelle machen", hatte Clinton augenscheinlich die Neuinterpretation der Partnerschaft des lustig-aufgedrehten Ernie und dem über Jahre hinweg eher schlecht gelaunten Bert übernommen. Dass hier auch erste inhaltliche und strategische Positionierungen im Hinblick auf das Präsidentschaftsrennen im November 2016 erfolgen, wollten Beobachter der Washingtoner Politszene keinesfalls ausschließen.   Die Demokraten wie die Republikaner warfen sich in einer erbittert geführten Sondersitzung beider Kammern des Parlamentes gegenseitig eine Politisierung und Ideologisierung des Themas vor. Von dezidiert linken Milieus und Vertretern verschiedener Minderheitenverbände wurde die Neuausrichtung der Sesamstraße nahezu einhellig und zum Teil enthusiastisch begrüßt. "Dafür haben wir lange gekämpft", jubelten aufgrund ihres langjährigen Engagements eher schon traditionell zu nennende linke Gruppierungen, Frauenverbände oder Teile von Veteranenorganisationen unisono. Sie hatten bereits in den 60er Jahren mit phantasievollen Kampagnen und Aktionen gegen das sogenannte "Establishment"  in sämtlichen Universitätsstädten des Landes für Spiel, Spaß und Spannung gesorgt. Während man sich bei Happenings, Sit-ins und freier Liebe vergnügte, zeitigten diese Protestformen einer rebellischen Jugend in bürgerlichen Kreisen Schock und Entsetzen. Nicht selten kam es zu Aufruhr und Auseinandersetzungen mit der Polizei, insbesondere wenn die eher ungezwungenen Protestformen der Hippies in den militanten Widerstand jener Schwarzen wie den "Black Panthers" mündete, bei denen der friedvolle Kampf eines Martin Luther King gegen die Rassendiskriminierung auf ihre tauben Ohren stieß. 
 
Macher der Sesamstraße machen weiter mit konsequenter Genderisierung/Nur das "große I" wird es im Englischen nicht geben
 
Das Logo der Sesamstraße
(Foto: PD)
Die neuen Verantwortlichen der Serie wiederum wollen sich nach eigener Aussage von der Zustimmung "beflügeln" und von der Kritik "nicht abschrecken" lassen und ihren Kurs weiter verfolgen. Schon sind die nächsten Folgen fest geplant und zum Teil auch schon abgedreht. "Alle Konflikte in der Gesellschaft können nur über die Frage der Geschlechterzugehörigkeit beantwortet werden", fordert Sontag eine "rigorose und rücksichtslose Erziehung" der Kinder und Jugendlichen in diesem Sinne. Es könne nicht sein, dass "gerade von Konservativen" und zum Teil auch bei "traditionellen Linken" ständig der Eindruck erweckt werde, als seien Menschen und Geschlechter unterschiedlich und als Individuen zu betrachten. Vielmehr gehe ein konsequent an den Gender Studies orientiertes Welt- und Menschenbild davon aus, dass sich Hierarchien und Machtstrukturen einer Gesellschaft nur an einem "überkommenen Rollenverständnis und entsprechenden Stereotypen" entlang "geschlechtsspezifischer Raster" festmachen lassen. Diese Sicht, die sich etwa an den Universitäten und in "politisch korrekten Milieus" schon seit Jahren bewährt habe, müsse nun "unter die Menschenkinder" kommen. Jeder noch so kleine Bereich der Gesellschaft müsse unter "dieses Diktat" gezwungen werden, vom Denken bis zur Sprache. Ein Sendeformat wie die Sesamstraße sei daher geeignet, "gerade die Kleinsten und von der bürgerlichen Ideologie noch nicht Verdorbenen" darauf vorzubereiten und sie im Sinne "unserer Gender-Ideologie" zu formen. So weit wie manche Genderistinnen in Europa, die jeder Form von eigenständiger Entwicklung der Geschlechter eine klare Absage erteilen und dem Konzept der "veralteten Gleichberechtigung" eine gegen den "maskulinen Faschismus" der Männerherrschaft gerichtete "Gleichmacherei" entgegensetzen möchten, wollte Sontag gleichwohl nicht gehen. Es gebe da noch einige winzige Nischen, die man für Unterschiede bei "Weiblein und Männlein" reservieren könne. Dies sei manchmal "sogar ganz reizvoll". "Außerdem haben wir im Englischen kein 'großes I' in der Mitte von Wörtern, um die Feminisierung der Wörter dazustellen", betonte Sontag. "Da ist uns Shakespeare oder Twain und das Niveau unserer gewachsenen Sprache dann doch wichtiger", räumte selbst sie ein. "Da gehen meine deutschen Geschlechtsgenossinnen und linkspolitisch Korrekten mit dieser Vergewaltigung ihrer Sprache wieder einmal zu weit", fügte die gelassene Amerikanerin hinzu und konnte sich einen Seitenhieb auf ihre MitstreiterInnen in Deutschland nicht verkneifen. Sie kündigte zudem an, zeitnah die "nächste Stufe" zu erarbeiten. Dann soll es in der Sesamstraße keine Hippie-Mädchen, alternde Vietnamveteranen oder schwarze Prediger mehr geben, die als Reminiszenz an altlinke Positionen eingeführt worden seien. "Dann werden grundsätzlich alle Unterschiede zwischen Mann und Frau aufgehoben sein. Der Mensch wird weitestgehend nur noch als geschlechtsloses Neutrum in Erscheinung treten", erläutert Sontag. "Gleichsam genderneutral." Und dann sei auch die "politisch korrekte Darstellung aller ethnischen oder sexuellen Minderheiten" nicht mehr notwendig, weil wir ohnehin "alle gleich sind wie Maschinen". Das ginge auch ohne Geschlechtsumwandlungen, denn auf das Bewusstsein komme es an. Jetzt müsse, so die Drehbuchautorin mit einem Augenzwinkern und einem verschmitzten Lächeln auf den schönen roten Lippen, nur noch ein Volk gefunden werden, das "diesen Wahnsinn" mitmache.             

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