Bekennerschreiben


Eine launig-zornige Polemik als Einführung


So konnte und kann es nicht weitergehen. Die nicht mehr zu leugnenden Missstände treten immer offener zu Tage. Dringender Handlungsbedarf ist geboten. Durch eine glückliche Fügung des Schicksals erlauben es die Umstände nun auch dieser Zeitung, in die laufenden Debatten einzugreifen und einen notwenigen Klärungsprozess mit herbeizuführen.

Identität und Anspruch

 Sollen denn all die ideologischen Kämpfe für den gesellschaftlichen Fortschritt seit den  60er Jahren vergebens gewesen sein, die sich nach den kollektivistisch-materialistischen Schlachten unserer Vorgänger am kalten Büffet und für die Idee der sozialen Demokratie einer dezidiert linken Identität unseres Landes angenommen haben, die weit über den traditionellen Rahmen hinausgreift. Einer unter den Bedingungen eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates und im Rahmen einer aktiven Bürgergesellschaft entstandenen und blühenden Identität, deren Wahrhaftigkeit über jeden Zweifel erhaben ist und die ihren grundlegenden und flächendeckenden Anspruch nicht zuletzt über die von einer kritischen Medienöffentlichkeit zur Verfügung gestellten Mittel und Methoden formuliert. Die veröffentlichte und damit öffentliche und damit verbindliche Normensetzung in Form von Sprach- und Denkgeboten, die im Dienste unserer Definition von Aufklärung und Humanität, Liberalität und Toleranz, Demokratie und Menschenrechten einem als Volk bezeichneten Publikum weitergegeben und damit gleichsam "verordnet" werden. Einen solchen Absolutheitsanspruch, dem sich nur Rechte aller Art in Form von unverbesserlichen Konservativen und allzumal Reaktionären, Rassisten und Faschisten entgegenstellen können, leiten wir als selbstgerechte und selbsternannte intellektuelle und moralische Elite aus unserer naturgegebenen Überlegenheit und damit aus uns selbst ab. Er bedarf keiner weiteren Rechtfertigung.

Populismus und Strategie
 
 Diese Position. die in schwierigen Auseinandersetzungen dem konservativen und rechten Lager abgerungen werden musste und dennoch nie vollständig gesichert war, ist seit geraumer Zeit offen in Frage gestellt. In Ermangelung zutreffenderer Begriffe, und warum sollte man sie langwierig suchen oder spitzfindige Unterscheidungen treffen, sind die hier zu benennenden Hauptgegner als "Populisten" oder besser gleich als "Rechtspopulisten" zu fassen. Dass der Begriff zu definieren und überdies die eindeutige Abgrenzung zu rechtsradikalen Kreisen oder gar fundamental entgegengesetzte Verortung (Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat und zur freien Gesellschaft, positive Einstellung zu den USA und zu Israel, Kritik am Islam als der Aufklärung verpflichtete Zivilisations-, Kultur- und Religionskritik jenseits rassistisch-biologistischer Denkmuster) in Teilen der so titulierten zu berücksichtigen wäre, mag nicht weiter stören. Schließlich übernimmt der überwiegende Teil der Medien ungeprüft und sich gegen etwaige Einwände im Sinne der vorherrschenden politischen Korrektheit absichernd bzw. sie mittragend das diffamatorische Vokabular bereitwillig. Neben inhaltlichen Erwägungen kommen hier also strategische Gesichtspunkte hinzu. Ideologie und Nützlichkeitsdenken ersetzen Argumente oder das Bemühen um objektive Beurteilung der unliebsamen politischen Konkurrenz. Wer angesichts der deutschen Geschichte als "rechts" eingeordnet wird, und sei es völlig zu Unrecht, gilt als "entsorgt" und darf am öffentlichen Diskurs nicht mehr teilhaben. Bestes und erfolgreichstes Beispiel war die öffentliche "Hinrichtung" von Thilo Sarrazin. Nicht inhaltlich zur Kenntnis nehmen, sondern persönliche Abrechnung. Was er gesagt, belegt und gemeint haben könnte, ist nicht wichtig. Der Bote ist das Problem, nicht die schlechte Nachricht. Problem gelöst.

Themen und Faktor Islam als Modellfall

Wir wissen sehr wohl, dass wir mit Liberalen und aufgeklärten Konservativen in vielen Fragen einen breiteren Konsens erreicht haben, scheren auch das rechts von uns stehende Lager nicht gänzlich pauschal über einen Kamm. Die Einstellung zur Homosexualität zum Beispiel spricht dafür, die allgemeine Zustimmung zu Demokratie und Pluralismus und die Absage an jede Form von Faschismus vorausgesetzt. Aber es ist auch da noch viel zu tun, obwohl dies hier nicht so sehr unser Thema ist.  Bei Fragen zu Europa ist Kritik am Zustand der EU oder dem "Rettungsschirm" für Griechenland naturgemäß nur im Rahmen unserer Ressentiments gegen die Wirtschafts- und Finanzstruktur erlaubt. Alles andere ist populistisch, antieuropäisch und nationalistisch. In der Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten ist der Umgang mit dem Islam exemplarisch, muss der in aller Regel dominante Einfluss unsererseits auf die Medien die fragile Stimmungslage in der Bevölkerung berücksichtigen und auch Verbündete in allen anderen demokratischen Lagern suchen.

Als unbedingter Lakmustest für den Grad der Toleranz muss die Einstellung zu den Muslimen als augenscheinliche Träger einer anderen Kultur gelten, die keinerlei grundsätzliche Kritik beinhalten darf. Hier ist in Debatten durchaus inflationär von Begriffen wie "demagogisch" "völkisch", "rassistisch" oder "faschistisch" Gebrauch zu machen, um strukturelle Kultur- und Religionskritik im Keim zu ersticken. Dass damit ein ja wirklich vorhandener Rassismus verharmlost wird und deren Opfer beleidigt werden, soll nicht erörtert werden. Über die Sünden des Abendlandes oder der Amerikaner gerne, aber nicht über den Islam. Das "Andere" wird gleichsam per se zum "Guten", zum beschützenswerten Gegenmodell einer kritisch zu betrachtenden Mehrheitsgesellschaft. Werte- und Kulturrelativismus als besonderer Ausdruck der Toleranz mit der Intoleranz. Der Schlüsselbegriff "Multikulti", ohne ihn ernsthaft zu diskutieren, muss daher zwingend diesen Kulturkreis einschließen. Merke: Nicht der Islam ist das Problem, sondern seine Kritiker. Und zu unterstellen ist immer, dass die Kritiker alle Muslime meinen. Verweise ihrerseits darauf, dass ihre Kritik ja gerade eine Solidarität mit den integrierten, prowestlichen Muslimen und gerade auch den strukturell unterdrückten Frauen ist, sind abzutun. Dies würde ja bedeuten, die pauschale Brandmarkung als "Populist" oder gar "Rassist" wäre so nicht mehr durchzuhalten. Dann müsste man ja jenseits bequemer Unterstellungen richtig diskutieren. Das lehnen wir ab. Man müsste sich dann auf die wirklichen Rassisten und Radikalen und ihr vorhandenes Potential in der Gesellschaft konzentrieren. Diese Randgruppen, die ja auch von der überwiegenden Mehrheit unserer Gegner isoliert werden, aber gefährden ja unseren Status ohnehin nicht. Dann müsste man auch die unfreiwillige und aus unterschiedlichen Perspektiven kommende Interaktion von wirklich rechtem und linkem Populismus und Radikalismus in Sachen Antiamerikanismus und Antizionismus thematisieren, der in Teilen der Bevölkerung durchaus verfängt und bei entsprechenden Anlässen auch mobilisierbar ist. . Das Betonen gerade populistischer Politiker eines reibungslosen Zusammenlebens mit nicht muslimischen Minderheiten kann überdies nur als ein Ausspielen von Ethnien verstanden werden, allzumal vorhandene Konflikte nur als Folge sozialer Diskriminierung  im Sinne eines materialistischen Weltbildes bzw. ethnischer Ungleichheit zu sehen sind. Daher ist auch der anonymisierende Begriff "Migrant" heute verbindlich, um die integrierten Einwanderer nicht nur aus der westlichen Welt, sondern etwa auch Menschen aus dem Fernen Osten und die Würdigung der hier funktionierenden multikulturellen Gesellschaft im Sinne gemeinsamer Werte und gegenseitiger Bereicherung für alle Muslime gleichsam "haftbar" zu machen und zu übertragen.   Loyalität gegenüber den USA oder Israel ist dagegen eher verdächtig. Tatsächliche Probleme oder Ursachen jenseits unserer vorgegebenen Antworten würden unser Weltbild relativieren und sind konsequent zu leugnen. Das Motto lautet: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf." Oder um es mit der schwedischen Moralphilosophin Pippi Langstrumpf zu sagen: "Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt." Die Rechtspopulisten berufen sich dreist und immer nachdrücklicher darauf, dass das Volk bei maßgeblichen Themen wie etwa gerade bei der Zusammensetzung unserer Gesellschaft (Einwanderungspolitik) oder der Bestrafung Schwerstkrimineller (Innen- und Rechtspolitik) ein Mitspracherecht habe und solche für die Werteverfasstheit und kulturelle Identität einer demokratischen Gesellschaft essentiellen Fragen auch jenseits einer von uns angeführten volkspädagogischen Avantgarde zu verhandeln wäre. Dies hieße, eine Deutungshoheit über Inhalte und Begriffe aufzugeben, die uns lieb und teuer ist. Das Funktionieren einer multikulturellen Gesellschaft ist daher nicht an eine gemeinsame Werteorientierung gebunden, sondern ergibt sich von selber. Allenfalls rhetorisch eingefordert.

Täterschutz vor Opferschutz wiederum gilt als eigentliche Aufgabe des Rechtsstaates. Verständnis und Milde also für jene, dessen persönliche Verantwortung durch die gesellschaftlichen Umstände, die es kritisch zu reflektieren gilt, zu relativieren ist. Täter sind eben auch nur Opfer. Materialistisch betrachtet heißt das: Der Mensch an sich ist gut, Verbrechen sind Folgen sozialer Ungerechtigkeiten. Kategorien wie das Gewissen, Moral und Persönlichkeit sind zu vernachlässigen. Die Forderung nach härteren Strafen muss daher als bloßes Racheempfinden gelten und dient natürlich nicht der Gerechtigkeit. "Law and order" sind abzulehnen. Im Zweifel gefährden die Polizei bzw. übereifrige Innen- und Rechtspolitiker bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols die Bürgerrechte und den liberalen Rechtsstaat. Die Struktur ist das Problem, nicht die individuelle Haftung. Die moralphilosophischen Ansätze des Naturrechtes können die Erkenntnis von Karl Marx eben nicht relativieren: Der Mensch ist vor allem ein Produkt der Verhältnisse.  Insgesamt also hat man einfach ein besseres Gefühl, wenn man anderen Menschen permanent die Welt erklären darf und im Selbstverständnis der eigenen Legenden lebt. Widerspruch muss daher entschieden mit dem Vokabular der Lordsiegelwahrer der gleichsam neulinken Wahrheiten beantwortet werden. Jeder, der von unseren Vorstellungen auch nur in größeren Nuancen abweicht, ist daher bald als gefährlicher Opportunist, bald als Brunnenvergifter oder Volksverhetzer zu markieren.

Linke Kräfte

Auch manche Sozialdemokraten  und deren Basis sind durchaus anfällig für entsprechende Tabubrüche. So etwa, wenn der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky allen Ernstes meint, er müsse ein Buch über reale Probleme schreiben. Soviel Wirklichkeit stört doch nur die Harmonie. Aber zumeist weist die SPD Kraft ihrer Funktionäre dann entschlossen genug solche Ausflüge in ideologieferne Untiefen zurecht. Da sind die Grünen ohnehin aufgrund ihrer Milieunähe unserem Anspruch grundsätzlich wohlgesinnter, obwohl etwa in Sachen Repression gegen Frauen und Homosexuelle im Islam und im Zusammenhang mit allgemeinen Menschenrechten auch hier mitunter das Erbe von "68" in Form von Feministinnen und zu grundsätzlich argumentierenden Aktivisten zu offensiv vertreten wird. Schließlich gelten diese Maßstäbe eher für die schlimmen CSU-Hinterbänkler und andere Chauvinisten bei uns denn für jene, die im Namen einer Religion frauen- und menschenfeindliche Ansätze pflegen oder die manchmal etwas zu offensiv daherkommende Machoattitude türkischer oder arabischer Jugendlicher. Da kann es dann schon einmal zu einer Steinigung oder zum Auspeitschen von Frauen oder eher lustig-temperamentvoll anmutenden Bezeichnungen wie "deutsche Schlampe" für Lehrerinnen kommen. Ersteres ist natürlich nicht schön, vielmehr unaufgeklärt und archaisch. Aber deswegen würden wir keine Demo machen. Letzteres eher ein kleiner "Betriebsunfall" und hat mit der Erziehung gegen die westliche Gesellschaft oder einem aggressiven Sozialverhalten und einem primitiven Ehrverständnis nichts zu tun. Sie kümmern sich halt um die Ehre der Frauen noch und kennen es von zu Hause dann doch nicht anders. Begriffe wie "Hurensohn", "Ungläubiger" oder "Schweinefleischfresser" für Nichtmuslime oder das untereinander gepflegte Schimpfwort "Jude" sind Beweis ihrer Hin- und Hergerissenheit zwischen den Kulturen und werden von der Mehrheit der Bevölkerung über politische Lagergrenzen hinweg oft als zu unfreundlich oder gar als Beleidigung missverstanden.  Die meinen es doch auch nur gut. Das muss man halt so verstehen, dass alle Kulturen gleich sind und diese Phänomene als authentische Manifestation des Anders sein zunächst einmal zu respektieren sind. Und Antisemitismus ist doch bei Muslimen nicht so schlimm. Aber erzählen sie das einmal der für Populismus anfälligen Rentnerin aus Neukölln oder dem Wedding, die vielleicht ihre sozialdemokratischen Volksvertreter danach fragt. Und die Gewalttaten. Nur weil immer wieder junge Türken und Araber Körperverletzungen begehen, wird da gleich auf ihre überproportionale Erwähnung in einschlägigen Kriminalitätsstatistiken verwiesen. Am Ende kommt jemand noch darauf, etwa den "Mord" an Johnny K. auf dem Alexanderplatz in Berlin als Rassismus zu bezeichnen. Nur weil Muslime Nichtmuslime zusammenprügeln und totschlagen, nachdem sie sie vorher entsprechend beleidigt haben. Mann kann es auch übertreiben. Außerdem sind das alles nur Einzelfälle. Das können die Menschen, die es tagtäglich in ihren Vierteln erleben, doch gar nicht beurteilen. Und merke: Wenn Muslime Täter sind, sind es bedauerliche Fälle und sollten mit dem Islam überhaupt nicht verbunden werden. Das wäre ja eine Pauschalierung und eine Stigmatisierung. Schließlich machen das ja Liechtensteiner oder Eskimos auch gerne. Wenn Muslime Opfer sind wie bei den NSU-Morden, dann ist das natürlich anders und ein Problem der ganzen deutschen Gesellschaft. Dass die Muslime und ihre Verbände sich mit den Opfern muslimischer Gewalt auseinandersetzen, kann nicht behauptet werden. Im Gegenteil: Der Aufschrei entsteht, wenn man dies einfordert. Die deutsche Gesellschaft reagiert gegenüber dem unerträglichen Treiben von rechtsextremistischen Kreisen, obwohl die nur einen sehr kleinen Teil ausmachen, mit klarer Abgrenzung. Letzteres ist auch gut so. Also weiterhin mit zweierlei Maß messen, dann klappt es auch mit der Toleranz.

 Die ehemaligen Kommunisten und heutigen demokratischen Sozialisten wiederum, die wir trotz mancher Meinungsverschiedenheit als potentielle Verbündete sehen, haben nach der Wende im Sinne der linken politischen Korrektheit schnell gelernt, waren sie doch in der DDR mit einer etwas anderen Prioritätensetzung konfrontiert. Jenseits der  feineren Fragestellungen in einer demokratisch-pluralistisch verfassten Gesellschaft über Migrationshintergrund und Antidiskriminierungsstelle, Frauenquote oder Gleichstellungsbeauftragte kommen diese Kräfte aus einer noch nachwirkenden eher klassisch-ideologischen Tradition. Wer den Kampf gegen den Klassenfeind und den bösen Westen im Sinne des Marxismus-Leninismus und des historisch-wissenschaftlichen Materialismus verinnerlicht hat, die Mauer noch 1989 als "antifaschistischen Schutzwall" begrüßte, der tut sich halt noch ein bisschen schwerer damit als wir, dem kapitalistischen System, den imperialistischen USA, gegen Völkermord und Menschheitsverbrechen angedachten humanitären Interventionen etwas abgewinnen zu können. Muss man ja dann auch wieder verstehen. Dass die Linkspartei sich seit der Wende den Vorwurf von nicht nur konservativen Kritikern gefallen lassen muss, als Hort alter stalinistischer Betonköpfe und DDR-Kader, von Stasischergen, Antiamerikanern und Antizionisten, verlogenen Pazifisten im Sinne unterlassener Hilfeleistungen für Opfer von eklatanten Menschenrechtsverletzungen und Völkermord von Afghanistan bis zum Balkan, halbgewendeten Kommunisten und Verdrängern und Relativierern der im Namen des Kommunismus begangenen Menschheitsverbrechen, oftmals selbstgerechten Reformern und linken  Sozialpopulisten zu gelten , ist selbstverständlich polemisch und übertrieben. Die posttotalitäre Partei, die sich ständig umbenennen musste, um ihrer Vergangenheit zu entfliehen, ist friedens- und sozialpolitisch durchaus nützlich. Sie sollte aber vielleicht wenigstens den Einsatz von UNO-Blauhelmtruppen mittragen, weil das schlechte Gewissen schon schlagen sollte bei Ermordung und Vertreibung von Millionen. Dass sie als erklärte Antifaschisten sich mit der Befreiung von Diktaturen und dem Beenden von Völkermord ein bisschen schwer tun, sehen wir schon kritisch, aber halt nicht zu sehr. Die ehemaligen Bürgerrechtler aus der DDR und menschenrechtspolitisch sehr Engagierte in anderen linken Parteien sehen das negativer, finden zum Beispiel das Eintreten für den russischen Imperialismus (Krim) schlimm. Die Partei ist halt ein Sonderfall, ein eigenes Kapitel.

"68" als Basis

Natürlich hatten wir auch unsere "Sündenfälle", ohne dem bei uns Paradelinken nicht  immer sehr ausgeprägten Hang zur kritischen Selbstreflexion zu sehr zu strapazieren. In den Tagen unserer glorreichen "68er Revolution" konnte es schon einmal passieren, dass wir die soziale Marktwirtschaft als "kapitalistisches Schweinesystem" leicht überzeichneten. Einige von uns waren auch in sogenannten "K-Gruppen" aktiv, in denen es mit dem Widerstand gegen das vorherrschende System und jedwede Form von Bürgerlichkeit,, der Sympathie für die nicht mehr gewaltfreien Aktionen der RAF und im Namen von Kommunismus und Weltrevolution auch schon einmal etwas zu laut vorgetragenen Solidaritätsbekundungen für die in Sachen Massenmord und Ideologie ein bisschen zu radikal vorgehenden Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt mitunter zu weit getrieben wurde. Wir haben ja dann dafür später bei der natürlich nur aus Sorge um den Wissenschaftsstandort Deutschland gegen den Betrüger Freiherr von und zu Guttenberg heroisch geführten Kampf um seine Doktorarbeit auch methodisch richtig losgelegt, ohne nach den Ergüssen unserer Leute in ihren Diplom- oder Doktorarbeiten etwa für die palästinensischen Widerstandsgruppen und gegen das Existenzrecht Israels zu fragen. Wäre ja noch schöner, die Debatte inhaltlich zu führen. Gleichwohl kann der Einsatz für eine gerechte Sache schon einmal zu ein paar kleineren Exzessen führen, vom Terrorismus bis zur Entkolonialisierung. In Deutschland sah es nach der restaurativen Adenauer-Ära aber auch schlimm aus. Überall Spießer und kleinbürgerliche Demokraten in Polizeiuniformen. Und mit den Faschisten haben wir ja eigentlich aufgeräumt und nicht die Alliierten. Zumindest nicht wirklich die Amerikaner, die ja dann auch die "kommunistische Bedrohung" erfanden und gegen die lieb gemeinte "Umarmungsstrategie" unserer Genossen in der Sowjetunion den Kalten Krieg anzettelten. Wir fanden natürlich die Sowjetunion und all das nicht gut, aber so richtig empören konnten wir uns doch eher über die Amerikaner.

Sie sind, obwohl wir ihnen viel zu verdanken haben, doch unsere Lieblingsgegner. An ihnen arbeiten wir uns noch heute gerne ab, demonstrieren wir unser Überlegenheitsgefühl. Häme und Schenkelklopfen, vor allem beim Kabarett, inbegriffen. Wir bestätigen uns eben gerne selbst. Also früher konnte einem schon einmal ein "Ami go home" herausrutschen. Das war natürlich kein Rassismus. Das mit der Befreiung vom Nazi-Regime und der Demokratisierung Deutschlands und den Errungenschaften in fast allen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft von Forschung und Technik bis zu sozialen Bewegungen und kulturellen Phänomenen ist ja alles übernommen worden und hat uns schon auch geprägt. Das müssen wir zugeben. Deshalb kann man die Begeisterung vieler für dieses Land irgendwie verstehen. Manche behaupten sogar, die USA hätten die westliche Zivilisation entscheidend vorangebracht, die Verteidigung westlicher Werte in Wort und Tat im Sinne von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Gerade im Kontext der Rechte des Einzelnen. Und die Menschen seien so offen und nett. Letzteres schon irgendwie erfrischend, aber halt doch auch oberflächlich. Die haben, das wissen viele Deutsche und natürlich wir auch, eben intellektuell-kulturell-moralisch doch nicht unser Niveau. Wir sind eben das alte Europa und dürfen der "Neuen Welt" den Globus nicht ohne Belehrungen überlassen. Wir selbst als neue Linke haben ja dann der vergleichsweise trivialen US-Kultur als große Europäer doch auch vieles abgewinnen können, vom Rock'n Roll bis zum Tragen der Blue Jeans oder den Protestformen gegen den Vietnamkrieg. Natürlich nur gegen den westlichen Anteil daran, der Vietcong war ja schließlich von den südvietnamesischen Handlangern von Kapitalismus und Imperialismus überfallen worden. All das gab uns das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Und Rigorosität und Fanatismus sind doch nur Ausdruck wirklicher Leidenschaft. Und die kleinen Irrtümer haben uns nicht geschadet. Sollte jemand zu Schaden gekommen sein: Sorry, aber es war nicht böse gemeint. Die schlimmsten Fehler werden ja ohnehin in bester Absicht begangen. Man ist halt der Musik, den Ideologien und Massen nachgelaufen. Man muss mit der Zeit gehen.

Folgen

Diese Vergangenheit prädestiniert uns natürlich für die tugendbeladene Wächterrolle, die wir danach spielten und weiterhin spielen wollen. Veränderte Konstellationen, geläuterte Positionen. Aber immer noch Zeit für unbedingte Haltung. So werden wir auch in Zukunft niemandem gestatten, so zu tun, als gäbe es auch noch Wahrheiten jenseits unserer und daher in wohlarrangierten Empörungswellen all jene als "Sau durchs Dorf" treiben, die unseren Anspruch nicht respektieren. Linksalternative Rituale und Reflexe, eingeübt und bewährt in langen Jahren. Unsere Verehrung für den besonders gütigen und liebenswerten  Ho Chi Min hat zwar ein bisschen nachgelassen, aber dem Enthusiasmus und dem nostalgischen Gefühl für Revolutionshelden wie Fidel Castro oder Che Guevara, die sich um Frieden und Freiheit nun wirklich verdient gemacht haben, tragen mindestens unsere Enkel durch das Tragen von T-Shirts mit den Köpfen dieser Ikonen Rechnung. Man will ja doch die eigene Biografie nicht durch zu viel Selbstkritik trüben. Das haben wir übrigens auch mit der deutschen Kriegsgeneration, der wir ja schon ein paar unangenehme Fragen zu stellen hatten, gemein. Daher halten wir natürlich bis heute ein Monopol auf den Begriff des "Antifaschismus".

Dies korrespondiert auch wunderbar mit der latenten Überzeugung, dass die USA den Weltfrieden irgendwie doch immer einmal wieder stören und ihr imperiales Gehabe als Ausdruck machtpolitischer und ökonomischer Interessen natürlich eher weniger bis nichts mit der Verteidigung universeller Menschenrechte, Demokratie und Freiheit zu tun haben kann. Mit der Befreiung anderer Völker durch den Westen hatten wir es ja wieso nie wirklich, abgesehen von der im Zweiten Weltkrieg. Allzumal mit der Wahrnehmung, dass der Staat Israel die armen Palästinenser und friedliebenden Araber, deren versuchte Angriffs- und Vernichtungsfeldzüge gegen das jüdische Volk doch nur ein liebenswerter Hinweis auf ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre religiös-politische Mission sind, aber auch so gar nicht verstehen will und aus der Geschichte nichts gelernt hat. Wenn man so eine Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte erlebt hat wie die Juden, dann sollte man seine Existenz militärisch nicht so vehement verteidigen. Natürlich ist Israel eine Demokratie, aber was heißt das schon. Also da muss man den Hass der Muslime schon verstehen. Die wollen doch nur eine friedliche Existenz mit Israel, ohne Juden versteht sich. Wenn die freiwillig ins Meer gehen, müssen das  die sozialen Organisationen der Palästinenser wie Hamas oder radikalere von Hisbollah bis zu den Dschihadisten und Al Kaida nicht mehr machen. Das wird man als aufgeklärter Linker mit antizionistischer Vergangenheit doch sagen dürfen. So wie heute der islamistische Terrorismus, so glauben nicht wenige von uns, doch auch nur eine Folge westlicher Fehler ist. Man darf es halt mit der angeblichen Wahrung von Demokratie und Menschenrechten dann auch nicht immer gleich übertreiben und muss Rücksichten nehmen auf entsprechende Befindlichkeiten. Natürlich sind wir schon für die Existenz Israels, aber nicht für eine notwendige Verteidigung. Sicherheitspolitik ist doch nur ein Ausdruck gescheiterter Friedenspolitik. Wer da Kompromisse macht, bietet weniger Angriffsfläche und wird auch belohnt. Das lehrt doch auch die Geschichte mit dem Nationalsozialismus. Und wir sind Experten dafür. Alles andere wäre naiv. Der 11. September 2001, wir wollen da natürlich nichts rechtfertigen, wäre mit einem großzügigen Angebot der Vereinigten Staaten und Israels, in Sachen "Verteidigung westlicher Werte" und Existenzrecht etwas kürzer zu treten, sicher auch verhindert worden. Obwohl das irgendwie widersprüchlich klingt, da viele Terroristen, wenn man es pädagogisch einfühlsam macht, für Freiheit und Demokratie doch empfänglich wären. Sie wollen doch auch nur das Beste. Aber vor allem den Amerikanern fehlt da einfach die Sensibilität für andere Kulturen. Multikulturalismus ist, wenn man die US-Geschichte kennt und wir sind natürlich da auch große Experten, halt ein Fremdwort da drüben.. Wenn es nach uns geht, wäre die Welt ohnehin ein Hort des Friedens und so schön, dass es kaum noch auszuhalten wäre. Motto: Am linken deutschen Wesen soll die Welt genesen. Oder besser gleich: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. 

Toll, dass da die unvermeidlichen Welterklärer der Nation wie Peter Scholl-Latour oder Helmut Schmidt, auch wenn sie nicht in unserem Sinne "links" sind und ihr Mangel an menschenrechtspolitischem Idealismus und ihre zynischen Relativierung der Universalität der Menschenrechte etwa durch die Verteidigung Russlands oder Chinas uns nicht immer so gefällt, die veröffentlichte Meinung so bestimmen. Amerika ist an allem schuld und der Islam ist gut oder unantastbar. Verstehen, respektieren, ja nicht irgendwie intervenieren. Diese selbstgerechten Ausfälle bei Scholl-Latour, sein notorischer und ins Fanatische gehende Antiamerikanismus bei tiefer Verehrung des Islam. Der weiß alles. Ein Gott. Bis weit in bürgerliche Schichten lässt sich das unmündige Publikum die Welt erklären. Wie schade, dass die dummen Amerikaner so einen nicht haben. Und Schmidt. Uns eigentlich auch zu konservativ, aber herrlich, wie der politische Papst der Deutschen uns die Außenpolitik erklärt. Dem darf keinesfalls widersprochen werden. Und der professionelle Islamversteher Michael Lüders oder der Hobbyfreund aller Muslime Jürgen Todenhöfer passen da gut hinein.  Hetze gegen Amerika und auf die Knie vor dem friedlichen Islam. Um uns all dies zu erklären, braucht es doch keine Experten für Amerika. Das machen schon die Islamwissenschaftler und Orientalisten und jene, die sich dafür halten. Dass ihre Prognosen selten stimmen und sie ein eingebautes Gen für Antiamerikanismus und Ressentiments gegen Isreael haben: Wen kümmert das. Bei Friedensdemonstrationen mit Millionen Teilnehmern und einer hysterischen Öffentlichkeit, die da oft auf unserer Seite steht, zumindest wissen viele, wie man die Welt in Ordnung bringt. Da korrespondieren die großen Intellektuellen (Journalisten, Schriftsteller, Künstler) in ihrem Engagement und die Friedenssehnsüchte der Bevölkerung prächtig. Bis in bürgerliche Kreise hinein. Natürlich immer erst, nachdem die westlichen Staaten bzw. die USA einen schon laufenden Konflikt, Diktatur und Massenmord beantworten. Aber Ursache und Wirkung und die Motivlage ist zu vernachlässigen, Die hochgeistigen Parolen lauten: "Kein Blut für Öl" usw. Das Feindbild und unsere Gesinnung passen. Dass radikalere, insbesondere arabische Gruppen bei den Demos schon einmal Parolen rufen wie "USA, internationale Völkermordzentrale" oder "Tod Israel" rufen,, hat uns nie so gestört. Diese Verschwörungstheorien über die rein ökonomischen und imperialistischen Interessen für Rüstungsindustrie, Kapital und Macht im Sinne des Materialismus haben wir ja partiell überwunden. Aber wir wissen eben immer ganz genau, was der "Ami" wieder einmal falsch gemacht hat, verfügt er doch nicht über die moralischen und intellektuellen Potenziale wie wir und ist schon Kraft seiner Geschichte und Kultur im Gegensatz zu uns dafür ungeeignet. Wir kennen uns darin aus, die Defizite der westlichen Welt reflexhaft zu benennen und den "bösen Taten" der Terroristen mit Liebe und Verständnis zu begegnen. Das haben zahlreiche linke Intellektuelle ja nach den Anschlägen von New York auch deutlich gemacht: Schuld ist der Angegriffene, wenn er aus dem Westen kommt. Dieser Reflex, der zuerst danach fragt, was wir da  wieder falschgemacht haben. Es ist schon eine Meisterleistung, dass es uns gelungen ist, die fundamentale Abrechnung mit der Weltmacht USA als kritisch-moralisch-intellektuell und mutig zu verkaufen, während auch nur die bescheidenste Kritik am Islam als gefährlich populistisch und rechts bis rechtsradikal gilt. Ja, wir sind eben mit den schwachen Opfern gegen die Starken. Dies eine Vertauschung von Ursache und Wirkung zu nennen, eine zynische Verhöhnung der Opfer bei gleichzeitiger Verharmlosung der Täter, das Tappen in eine "Verständnisfalle", Werte- und Kulturrelativismus und "Feigheit vor dem Feind" aus mangelnder Emphase für die sonst so hochgehaltenen Kategorien von Demokratie und Menschenrechten, wichtigtuerische pseudointellektuelle und pseudomoralische, antiamerikanische und antizionistische Ideologie, Kapitulation vor dem menschenverachtenden und gegen den universellen Anspruch des Humanismus gerichteten "Islamofaschismus" und vieles mehr: Das wäre ja törich und geht gar nicht. Zumal das "Böse" ja eigentlich nicht existiert. Gut, bei Nazis schon, aber bei Muslimen muss man das schon verstehen. Das sind ja die "Anderen". Und im übrigen hat das Verhalten der Islamisten mit den allermeisten Muslimen ja nichts zu tun. Soviel Ursachenforschung, die wir sonst jederzeit so intensiv betreiben, um noch so eindeutige Gegebenheiten zu relativieren, muss hier natürlich nicht sein.  Wie man weltweit sieht, hegt die absolute Mehrheit der Muslime  ja eigentlich eine latente Sympathie für die Werte von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, für Frauenrechte, Rechte von Homosexuellen, Minderheitenrechte anderer Kulturen und Religionen in ihren Ländern und Milieus. Nur sie durften es bisher noch nicht so zeigen. Die Regime sind schlimm, aber an deren Existenz ist doch wieso der Westen schuld. Manche sagen, es gehe in der islamischen Welt drunter und drüber, überall brenne es, diese politische Ideologie sei die größte Gefahr für den Weltfrieden. Nirgendwo eine Demokratie und westliche Werte. Und nur mehr oder weniger viele Muslime, die für entsprechende Ideen zu haben und als Verbündete zu betrachten wären. Das kommt beim Volk an, aber welche Paranoia. Obwohl ja unsere Politiker immer wieder betonen, dass ja nur eine kleine Gruppe von Muslimen gefährlich ist. Traurig, dass der Westen den Islam nicht verstehen will und von einem Fehler zum anderen stolpert.

Gesellschaft und Mut

Und die wenigen zu vernachlässigenden Defizite, die es zugegebenermaßen auch bei uns in den muslimischen Communities gibt, die werden sich ohne kritische Bestandsaufnahme und ohne Gegenmaßnahmen auch noch von selbst auflösen. Einstweilen wollen wir, denn das wäre ja offener Rassismus, daher die Probleme nicht bei den Muslimen suchen, sondern bei allen aufnehmenden Gesellschaften der westlichen Welt. Gibt es Konflikte, muss selbstverständlich die Mehrheit der aufnehmenden Gesellschaft gerade in demokratisch-freiheitlich verfassten Rechtsstaaten mit Grund- und Minderheitenrechten die Ursache sein. Das liegt in der Logik der Sache. Daher sind "Appeasement" und Zurückhaltung innen- wie außenpolitisch oberstes Gebot. Und wer nicht gerade Islamist und Salafist ist, einen "Ehrenmord" begeht oder einer Zwangsverheiratung Vorschub leistet, ist doch ohnehin bestens integriert. Auch die Homophobie, die wir ja sonst sehr beklagen, finden wir nicht so gut. Lasst uns da mit den Ansprüchen an die Integration aber bescheiden bleiben. Also lieber Homophobie im Islam als Islamophobie. Letzteres ist gerade der "Renner", wenn es gilt, den Islam pauschal gegen Kritik zu verteidigen. Angriff ist eben die beste Verteidigung. Und das Kopftuch, von manchen als Symbol für die Unterdrückung der Frauen bezeichnet, ist doch auch nur ein nettes Textil als Zeichen des Respektes und der Unschuld. In Wirklichkeit geht es doch auch gar nicht um den Islam, sondern um unseren Status und unser Weltbild. Und das bisschen an systematischer Unterdrückung der Frauen usw. wird auch noch hinkommen. Hauptsache, unsere Frauen haben ihre Rechte. Ohne den Islam hätten wir doch überdies in den liebevoll eingehegten Parallelgesellschaften großstädtischer Viertel keine  so aufregenden und exotisch anmutenden und nur auf den ersten vorurteilsbeladenen Blick etwas befremdlich wirkenden und  unseren Alltag bereichernden Phänomene wie die arrangierte Ehe. In den 60er Jahren hatten wir ja noch nicht das Privileg, die überwiegend bereichernde Anwesenheit von Menschen türkischer und arabischer Herkunft zu verteidigen, die sich mit Aufklärung und Humanismus verständlicherweise manchmal doch ein bisschen schwer tun und die Rechte von Minderheiten auf unseren Rat hin natürlich dann einfordern, wenn sie selbst in der Minderheit sind. Aber nur dann. Individualrechte nachzuvollziehen und die Frauen als vollwertige Menschen anzuerkennen, das ist eben nicht leicht zu begreifen und braucht noch ein paar wenige Jahrhunderte. Das kann man im 21. Jahrhundert gut 1500 Jahre nach Mohammed noch nicht verlangen.

 Aber was ist uns durch die Österreicher und ihren Prinz Eugen, der die Besetzung Wiens und damit das Vordringen der Osmanen schon im späten 17. Jahrhundert verhindert hat, nicht alles entgangen! Noch viel früher war es die spanische "Reconquista", die den Arabern durch die Vertreibung der Mauren den berechtigten Griff nach Europa verwehrte. Natürlich war die vergleichsweise friedliche Anwesenheit der Mauren in Andalusien symptomatisch für die arabische Welt, die schon im Mittelalter durch die ein kleines bisschen gewalttätigen "Araberstürme" ihren Anspruch geltend machte. Man muss allerdings bedenken, dass der Weg hin zu Gleichstellungsbeauftragten und Frauenquoten und zu ein paar westlichen Errungenschaften, na ja sagen wir einmal, etwas zähflüssiger verlaufen wäre. Wer denkt bei einer Vielehe nicht an die romantische Haaremstradition im Orient, die wir schon aus Hauffs Märchen aus 1001 Nacht als Kinder kannten. Man käme ja als phantasieloser Mitteleuropäer von alleine gar nicht auf solche Ideen. Geschweige denn darauf,  dass die "Ehre der Männer" mit ein paar Messerstichen wieder herzustellen ist. Verstehen sie uns nicht falsch: Wir finden das auch irgendwie nicht gut, aber man sollte doch keine allgemeingültigen Schlüsse daraus ableiten. das wäre zuviel der Ursachenforschung. Die behalten wir uns bei Abrechnungen mit den USA und ähnlichem vor, die wir mutig auch trotz ständiger Beleidigungen als Rassisten, trotz Morddrohungen und Fatwas aus dem Weißen Haus und dem Pentagon vornehmen. Wie mutig behaupten wir unseren Standpunkt, wenn nach Kritik an der amerikanischen Politik wieder einmal die deutsche Botschaft in Washington belagert wird und ein wild durch die Straßen tobender Mob von Amerikanern in unheiligem Zorn unsere Landesflagge verbrennt oder in schier endloser Raserei auf Puppen, die amerikakritischen Politikern ähneln, herumtrampeln. Gleiches erleben wir in Israel. Da muss man dann auf den bewiesenen Mut und das gezeigte Rückrat schon einmal stolz sein dürfen, es der Weltmacht, die an allem und auch am Gegenteil davon schuldig ist, ein bisschen gegeben zu haben. Auch ist es sehr mutig, den Papst zu kritisieren oder sich lustig zu machen. Da sind ja auch Kräfte am Werk, die uns wirklich aufregen. Wie wohlfeil dagegen die Kritik am Islam, für die man am Ende ja doch nur allgemeine Anerkennung und liebenswerte Reaktionen erntet, von unseren selbst verfassten Lobeshymnen bis hin zu Fanpost von Islamverbänden. Islamkritiker auch aus dem muslimischen Bereich selbst werden bestätigen können, dass es Kampagnen, Einschüchterungsversuche oder Morddrohungen gegen sie nie gegeben hat. Zivilcourage also ist hier nicht vorhanden. Übrigens kämen wir ja nie auf die Idee, uns über die katastrophale Bildung in der muslimischen Welt lustig zu machen oder die Bildungsferne vieler bei uns lebender Muslime zu geißeln. das wäre ja Rassismus. Nein, wir benötigen unsere Energie schon dafür, uns über die "dummen Amis" trotz ihrer guten Universitäten und all dem zu amüsieren. Wir wissen zwar nicht einmal, wer gerade Gouverneur von Texas ist, der Bundesstaat ist sechsmal größer als die Bundesrepublik und haben auch sonst große Lücken in amerikanischer Geschichte, Parteienpolitik oder Verfassungssystem und politischer Kultur. Aber wie witzig ist das denn, wenn die Amerikaner im Durchschnitt nicht einmal so bedeutende Staaten wie Luxemburg oder Liechtenstein auseinanderhalten können. Wir sind halt doch Europazentristen.

Frieden

Heroisch dagegen war auch  unser friedenspolitischer Einsatz, den wir schon bei den Ostermärschen in den 80er Jahren als  Teil der Friedensbewegung bewiesen haben. Dieser Pazifismus, der einer tiefen Einsicht um Aufstieg und Fall des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland entsprach, schließlich kam Hitler seinerzeit durch allzu forsches Säbelrasseln der demokratischen Welt gegen ihn an die Macht und wurde dann 1945 durch engagierte Friedensdemonstrationen, Wasserspritzpistolen und Gebete beseitigt, was übrigens auch gerade am Beispiel der Befreiung von Konzentrationslagern nachgewiesen werden kann. Zudem entsprach unsere Friedensliebe ja auch dem Prinzip der Äquivalenz gegenüber westlicher Welt und dem Imperium der Sowjetunion oder gar heimlicher Sympathie für die Existenz einer Alternative zum Kapitalismus. Die Unterdrückung der Menschen in den Staaten des Warschauer Paktes fanden wir nicht so schlimm, zumal wir ja nicht in ihnen leben mussten. Für uns war oftmals eigentlich nicht "Kommunismus" ein Schimpfwort, sondern eher "Antikommunismus". Wenn wir heute von den Balkonen unserer renovierten Altbauwohnungen im Prenzlauer Berg im ehemaligen Osten Berlins blicken, das einst bekämpfte spießbürgerliche Leben der Bourgeoisie mit Familientreffen und Kinderwagen leben und die deutsche Einheit (war da jemand nicht schon immer dafür?) wie selbstverständlich hinnehmen, dann denken wir oft: Das war schon schlimm, was diese kalten Krieger wie Ronald Reagan da mit dem NATO-Doppelbeschluss und der politischen und militärischen Stärke gegenüber dem Osten angerichtet haben. Nur ein Phantast könnte auf die Idee kommen, einen Zusammenhang herzustellen zwischen diesem Vorgehen und dem Zerfall des "Ostblocks". Und Helmut Kohl ist doch die Politik der Einheit zugefallen. Das hat doch wieso alles Gorbatschow ermöglicht. Und die Bürgerrechtler im Osten, obwohl wir mit denen früher nie viel am Hut hatten. Allzu böse konservative Kreise sprachen sogar vom "Reich des Bösen" im Kontext der Verhältnisse in der Sowjetunion, die doch trotz des zugegeben etwas diktatorischen Charakters eigentlich ganz kommod war. Dass nach dem Zweiten Weltkrieg in deren Wirkungsbereich die ganze Hälfte der Welt doch irgendwie unterdrückt wurde, hat uns nicht so gestört, wenn wir mit unseren Kindern in Mutlangen gegen den Rüstungswahn der Amerikaner demonstriert haben. Unseren heiligen Pazifismus haben wir immer dann kultiviert, wenn wieder eine Diktatur oder ein Völkermord von den NATO-Staaten unter amerikanischer Führung beendet wurde und wird. Und immer waren wir auf der richtigen Seite. Wie bei den militärischen Interventionen in Afghanistan, im Irak oder damals auf dem Balkan. Diese Angewohnheit der Amerikaner und auch ihrer Verbündeten, die Universalität der Menschenrechte auf die ganze Welt zu beziehen, hat doch keine Logik. Völkermord, Diktatur, unglaubliche Verbrechen gerade der Taliban gegen die Frauen, Sicherheitsbedrohung der westlichen Welt durch den islamistischen Terror, tagtägliche bestialische Anschläge gerade auch auf Muslime selbst: Da muss man doch nicht gleich militärisch werden. Und was haben wir uns, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, darüber aufgeregt. Hysterische Debatten, wütende Demos. Unsere Sehnsucht nach dem Frieden mit den Unfriedfertigen kennt keine Grenzen. Wir hätten es mit Milosevic, den Taliban, Osama Ben Laden oder Saddam Hussein schon noch ein bisschen ausgehalten.

 Und natürlich haben wir die Kampagne für den Helden Snowden und gegen die NSA ebenso hysterisch und empört über lange Zeit in der veröffentlichten Meinung wachgehalten. Jetzt glauben auch genügend Leute in der Bevölkerung, dass eigentlich doch der "Kampf gegen den Terror" das Problem ist und nicht der "Islamofaschismus". Was ist schon eines dieser täglich stattfindenden und oft genug verhinderten Selbstmordattentate, solange man nicht selbst oder seine Angehörigen unmittelbar betroffen sind, gegen die von einem NSA-Mitarbeiter ausgehende Gefahr, der seine begrenzte Arbeitszeit natürlich damit verbringt, die Mail von Tante Frieda und ihrer Geburtstagsparty auszuwerten. Von Profiling und Codierung haben wir noch nie etwas gehört. Man sollte Snowden für den Friedensnobelpreis nominieren, da er den Terroristen gute Einsichten vermittelt hat über die Arbeitsweise der amerikanischen Geheimdienste. Das bringt sicherlich die Welt dem Frieden näher, wenn bei der Verbreitung islamistischer Hetze und der Planung von Massenmorden in Zukunft die "Tücken" der modernen Kommunikation in Form von amerikanischer Totalüberwachung umgangen werden können. Dies "Landesverrat" des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Snowden zu nennen, ist natürlich absurd.

 Und die Sache mit Wladimir Putin und Russland. Da sind wir hin- und hergerissen. Da gibt es bei uns viele radikale Kritiker der heutigen politischen Verhältnisse in Russland, den Grünen nahestehende noch mehr als etwa Sozialdemokraten. Nach innen immer mehr eine Diktatur, die Oppositionelle verfolgt, die Medien im Sinne des Kreml gleichgeschaltet hat und Homosexuelle diskriminiert. In der Außenpolitik aggressives Auftreten und das Völkerrecht mit Füßen tretend. Aber es gibt unter uns auch Leute, die einer weit verbreiteten Meinung etwas abgewinnen können. So nach dem Motto: Man sollte doch nicht gleich überreagieren. Nationalismus und Imperialismus, Erpressung ganz Europas mit Öl und Gas, eine das Volk ausraubende "Mafia" aus Politikern und Oligarchen. Die Sowjetunion ohne Kommunismus. Ein nationalistischer Rausch. Völkerrechtsbruch. Na und ? Die Tatsache, dass  unabhängige Nachbarländer, die in strategischer Abhängigkeit gehalten werden, bedroht und mit Hilfe der "fünften Kolonne Moskaus" besetzt werden ? Oder die Unterstützung für den syrischen Massenmörder Assad ebenso wie jene für den Völkermörder Milosevic und der nationalistisch-faschistischen Serben im Namen der historischen Verbundenheit in den 90er Jahren ? Ach hören Sie doch auf. Gut, dass es da in deutschen Talkshows im Gegensatz zu den Nachrichtensendungen so viele  "Russlandversteher" und Russen selbst (natürlich nicht von der Opposition, die sitzt ja in Gefängnissen oder wird nicht eingeladen) aus allen Lagern gibt, die uns die Legitimation solcher Aktionen genauso erklären wie die Fehler des Westens. Wie die alten "Appeaser" Egon Bahr oder Erhard Eppler, deren Friedensliebe gegenüber Diktaturen einzigartig ist und die reflexartig  gegen die USA wettern. Oder prorussische, ehemalige Moskau-Korrespondenten, für die etwa die Ukraine nur immer eine gefühlte Provinz der Sowjetunion war und die so großes Verständnis für den Anspruch Russlands aufbringen, kleinere Nachbarvölker zu schlucken. Wirtschaftslobbyisten, die gerne Geld verdienen. Oder Jakob Augstein, der auf der Liste der Antisemiten des Simon Wiesenthal Centers steht, weil er die Selbstverteidigung  Israels für ein Verbrechen hält und die Lage der Russen in der Ukraine mit der der Kosovaren auf dem Balkan vergleicht. Ist aber auch schlimm, was die prowestlichen Ukrainer den auf Russland fixierten da antun. Wollen von Kiew und nicht von Moskau regiert werden.  Ein dankbares Publikum erfährt, dass Menschenrechte eben den Wirtschaftsinteressen untergeordnet werden müssen und Sanktionen wieso nichts bringen. Naiver Pazifismus und ein Reden wollen mit jenen, die nicht reden wollen und mit Kaltblütigkeit und Gewalt Fakten schaffen, dagegen schon. Kommt ja der Haltung vieler Deutscher entgegen: Leise treten und ja nicht zu viel Leidenschaft für die westlichen Werte, von denen man selbst wie selbstverständlich lebt. Türen und Fenster zu, was geht uns die Ukraine an. Schuld ist die NATO-Expansion, der Westen und natürlich wieder die Amerikaner. Mit dieser Wertegemeinschaft NATO kann man es wirklich übertreiben. Es ist doch kein Kompliment für sie, wenn andere Völker in sie wollen und sie als "Lebensversicherung" betrachten. Die NATO-Hetze der Linkspartei gedeiht auf diesem Boden und ist natürlich noch einmal ein paar Klassen schärfer. Das passt gut. Da kann man sich auch gleich ganz offen zum russischen Nationalismus und Imperialismus bekennen, auch ohne Kommunismus.  Man schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe. Hauptsache gegen den Westen und die USA. Sie alle reden lieber sonntags von Europa und Demokratie und hören, wenn es darauf ankommt, pragmatisch weg. Wir haben zwar Angst vor Putins Russland, aber das geht schon gut. Ja nicht eskalieren, schön Rücksicht nehmen. Das lehrt die Geschichte und hat doch in Georgien schon geklappt. Wenn man ihm das Feld überlässt, wird er nicht ermutigt und kehrt wieder auf den Pfad der Tugend zurück. Mit Ursache und Wirkung haben wir es nicht so. Wir folgen lieber der großrussischen Propaganda, die bis in unsere Fernsehstudios und Medien gespült wird: Die russischen Minderheiten in den entsprechenden Ländern werden von Faschisten und Nationalisten unterdrückt. Wer Russland gegenüber kritisch eingestellt ist, unterstützt sie. Und die "Helden", die in Kiew die moskautreue Marionette Janukowitsch davongejagt haben und monatelang friedlich für Europa und Demokratie eintreten? Alles Faschisten.  Und wir wissen doch von Ost- und Mitteleuropa wieso wenig. was scheren uns die nicht russischen Slawen. Überlasst den Russen den ganzen Osten, das war doch in Jahrhunderten so. Mal haben sich die Russen, mal die Deutschen bedient. Wir reden über die russischen Befindlichkeiten, was wollen die Menschen im Westen der Ukraine von uns. Auch unsere Verbündeten im Baltikum, die Polen oder Tschechen sollen sich nicht so anstellen und ihre Angst vor Russland zurückstellen. Nur wegen ihrer historischen Erfahrungen. Das und vieles mehr hat uns, leicht geläutert und den "Marsch durch die Institutionen" antretend, zu dem gemacht, was wir heute sind. Wahrhaftig gute und kluge Menschen.

Linke Konkurrenz

 Gar nicht so wenige von uns haben sich dem System allerdings so weit angepasst, dass sie es heute grundsätzlich verteidigen, auf dem Balkan oder nach den Anschlägen  in New York  sogar einer militärischen Intervention das Wort geredet haben. Das sind die Gleichen, die das Völkerrecht gegenüber Putin wahren wollen. Darüber hinaus auch noch grundsätzlich kritische Anmerkungen zum Thema Islam machen oder auch sonst diese rigorose Auslegung der Menschenrechte und des Humanismus betreiben. Abrechnungen mit der eigenen Biografie sind da inbegriffen. Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass wir da schon zum Teil Probleme und Bauchschmerzen damit haben. Sie sitzen in Regierungen und Parlamenten und nennen sich noch links, sogar noch die jüngere deutsche Geschichte bemühend. Von anderen politischen Kräften ganz zu schweigen. "Wehret den Anfängen", kann man da nur sagen. Wir stehen bereit.

Die Redaktion                 
      

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