Montag, 2. Juni 2014

Historischer Tag: Ab heute sitzt Hoeneß ein

Von unserem Ressortleiter Sport Franz Fass

Hoeneß sitzt erst einmal in
Landsberg fest (Foto: Harald
 Bischoff, Lizenz: CC BY-SA 3.0)
München/Landsberg. Gemeinhin neigen oberflächliche Medien in unserer schnelllebigen Zeit dazu, nahezu inflationär von "historischen" Tagen und Begebenheiten zu sprechen. Der 2. Juni im Jahre der Herrin (Anno Domina) 2014 jedoch erfüllt alle Kriterien dieses Begriffs. Es war "historisch" zu nennen, als Ullrich Hoeneß um genau 11.41 Uhr in die Strafvollzugsanstalt Landsberg am Lech einfuhr. Da der Mannschaftsbus des FC Bayern gerade nicht zur Verfügung stand, musste der umtriebige Wurstfabrikant in der silbernen Limousine seines Anwaltes vorgefahren werden. Als sich dann die schweren Türen des Haupteinganges hinter Hoeneß schlossen, war sein Schicksal erst einmal besiegelt. Damit sitzt der ehemalige Spieler, Manager, Aufsichtsratschef und Präsident des FC Bayern München mit dem heutigen Tage hochoffiziell ein. Seit Wochen war darüber spekuliert worden, ob sich die heilige Dreifaltigkeit des Renommierklubs von der Isar noch pünktlich zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft zum Haftantritt melden würde. Jetzt herrscht Gewissheit: Der Finanzverbrecher, der wegen läppischer 28 Millionen Euro Steuerhinterziehung zu satten dreieinhalb Jahren verurteilt worden war, kann bereits am 12. Juni das Eröffnungsspiel Brasilien gegen Kroatien von seinem schon reservierten Platz im Fernsehzimmer der Anstalt aus mit seinen neuen Kameraden ansehen. Während die einen in mitleidslosen Jubel ausbrechen, stimmen andere Zeitgenossen Klagelieder an. Hoeneß teilt nicht nur die Fußballwelt, sondern die ganze Nation. Der Kalauer Anzeiger wiederum hat sich in weiser Voraussicht bereits vor Wochen die Rechte am Gefängnis-Tagebuch des Delinquenten gesichert und wird in loser Abfolge Auszüge aus dem "historischen" Werk veröffentlichen (Wir berichteten).

Das herrschende Medienaufgebot lässt sich nur mit den chaotischen Szenen vergleichen, die seinerzeit bei der Abdankung von Franz Beckenbauer als Kaiser von China zu sehen waren. Auch diesmal stolperten Journalisten des Boulevard in- und übereinander. Autos stießen aneinander, als sei vor der Haftanstalt der Autoscooter eines Rummelplatzes aufgebaut worden. Tumultartig dann die Auseinandersetzungen zwischen Fotografen, als Hoeneß sich am Eingang anmeldete. Gleichwohl gelang es, die mediale Szenerie ohne größere Blessuren aufzulösen. "Gehen sie weiter, es gibt hier nichts mehr zu sehen", schrie ein Polizist den Abordnungen nahezu aller Fanklubs des FC Bayern und zahllosen Schaulustigen zu, die sich das Ereignis nicht entgehen lassen wollten. "Das ich das noch erleben darf. Das war noch schöner als damals", freute sich eine 99jährige Anhängerin der 60er und wischte sich eine Freudenträne von der Wange. Die "Einfahrt" des Hoeneß hatte ihr augenscheinlich noch mehr gefallen als die Rede, die sie als junge Frau in den 3oer Jahren von Adolf Hitler auf dem Münchner Marienplatz gehört hatte.

Im Gefängnistrakt angekommen, wurde der einstige Vorzeigemanager entkleidet und neu ausgestattet. Die längsgestreifte Uniform, in modisch-dezentem Hellblau auf weißem Grund gehalten, dürfte Hoeneß von den Trikots seines Leib- und Magenvereins her bekannt sein. Anschließend wurde er in seine Zelle eingewiesen. Nicht überhört haben kann er dabei die Hochrufe der Bayernanhänger unter den Insassen, die von langgezogenen "60, 60"-Rufen konterkariert wurden. Die Fans der Münchner Löwen in ihren blau-weißen Trikotagen hatten sich vor ihren Zellen aufgestellt und mit höhnischem Applaus den neuen Gast willkommen geheißen. Augenscheinlich waren sie in der Mehrzahl. Aus dem Hintergrund ertönte eine tiefe und biergeölte Männerstimme und kündigte kommendes Ungemach an: "Uli, wir kriegen dich", hieß es.

Ehe sich der Neuankömmling in seiner spartanisch eingerichteten Zelle richtig umgesehen hatte, erklang schon das durchdringende Signal, das die Inhaftierten zum Mittagessen ruft. Die Kantine bietet täglich drei Gerichte an. Hoeneß nahm Würstchen mit Kartoffelsalat, dazu ein Glas Milch. Bescheidenheit ist bekanntlich eine Zierpflanze, die es täglich zu begießen gilt.

Nach dem Dinner knüpfte Hoeneß dann erste Kontakte in den Gängen der Anstalt. Noch etwas scheu, aber durchaus nicht ohne jegliches Selbstbewusstsein ging Hoeneß auf die "schweren Jungs" zu. Neben skeptischen Blicken und abfälligen Bemerkungen erntete der ehemalige pfeilschnelle Außenstürmer der "Roten" durchaus auch aufmunternde Worte und Komplimente. Wie auch außerkalb des Gefängnisses scheint die Resonanz auf ihn zwiespältig zu sein. Man liebt ihn oder man hasst ihn. Dazwischen gibt es scheinbar nichts.

Für die nächsten zwei Stunden herrschte Ruhe im Trakt. Die ausgedehnte und menschenfreundliche Mittagsruhe nutzte jener Mann, der 1976 in Belgrad gegen die Tschechoslowakei mit seinem tragisch verschossenen Elfmeter der deutschen Mannschaft einen Europapokaltitel gekostet hatte, zu einem entspannten Nickerchen. Mag er geträumt haben ? Und wenn ja, wovon ? Vielleicht von den saftigen Wiesen am Ufer des Tegernsees, wo er eine Villa sein Eigen nennt. Möglicherweise aber auch von künftigen Meisterschaften seines Vereins, die er nur im Gefängnis wird feiern können.

Am Nachmittag folgten dann die Einführung in seinen Job in der hauseigenen Wäscherei im Ostflügel des weitläufigen Gebäudes, Hofgang und mehrere Telefongespräche.

Gegen Abend wurden dann die tagsüber sperrangelweit geöffneten Zellentüren geschlossen. Hoeneß schaltete kurz den Fernseher ein und schlief dann sanft ein. Um 22 Uhr, kurz bevor die Nachtruhe einsetzte, ertönte aus einer Nachbarzelle das Lied "FC Bayern, forever number one". Diese Melodei mag Hoeneß in seinen Träumen zart berührt und ihn hin zu besseren Zeiten geführt haben. Bessere Zeiten, die jenseits des harten Alltags im Landsberger Gefängnis liegen. Und das alles nur, weil er ein paar lumpige Milliönchen vergessen hatte anzugeben. Das Leben kann so ungerecht sein. Aber morgen ist auch noch ein Tag..                    

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