Bericht von Chefredakteur Siegfried Richter
Nationalismus zur Schau getragen/Stolze Argentinier als "kriechende Gauchos" verspottet/Nach Döner- und Pinkelaffäre von Großkreutz vor WM nun Maß voll/Konsequenzen gefordert/Nationalismus anderer Länder ebenfalls gefährlich
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Symbol für deutschen Nationalismus
und Militarismus: Schwarz-Rot-Gold
(Foto: Richter/KA) |
Berlin. So eng können unbändige Freude, ausgelassene Stimmung und euphorische Begeisterung mit den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte einhergehen. Was als fröhliche Feier zum Empfang der deutschen Weltmeistermannschaft auf der Fanmeile am Brandenburger Tor begann und von nahezu einer halben Million Fußballfans aus dem gesamten Bundesgebiet begleitet wurde, entpuppte sich als üble nationalistische Kampagne und rassistische Beleidigung gegen die im Endspiel von Rio de Janeiro unterlegenen Argentinier. Wachsame Medienvertreter deckten den Skandal auf, der sonst möglicherweise niemandem aufgefallen wäre. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach beschwichtigt noch, ernsthafte Konsequenzen aber sind kaum noch zu verhindern.
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Überall Schwarz-Rot-Gold: Das ist
verkehrt (Foto: Richter/KA) |
Nachdem die erfolgreiche Nationalmannschaft per Direktflug aus Rio auf dem Berliner Flughafen Tegel gelandet war und Kapitän Philipp Lahm mit dem WM-Pokal aus dem Flugzeug stieg, brandete erster Beifall auf. Hübsche Stewardessen standen Spalier, als die Truppe von Trainer Jogi Löw die Gangway herunter kam. Hunderte von Fans waren auf das Flughafengelände gelangt, um den neuen Weltmeister zu begrüßen. Bastian Schweinsteiger, eingehüllt in eine große Deutschlandfahne, küsste übermütig den Heimatboden. Schon hier hätten alle Alarmsirenen angehen müssen. Scheinbar aber sind wir in Deutschland mittlerweile für eine solch offen zur Schau gestellte Liebe zur Heimat und für einen dermaßen geschichtsvergessenen Umgang mit nationalen Symbolen wieder empfänglich. Wo Zurückhaltung und Sensibilität gefragt wären, herrschen allenthalben unverkrampfte Freude und Pathos.
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Selbst vor Häuserwänden machte der
nationale Wahn nicht halt
(Foto: Richter/KA) |
Dies setzte sich dann bei der Triumphfahrt durch die Stadt fort. Die deutschen Spieler, auf dem Oberdeck eines Busses postiert, winkten den Zehntausenden von Menschen zu, die die Straßen der Hauptstadt säumten. Ungeniert wurden schwarz-rot-goldene Fahnen geschwungen, Spieler verteilten "Küsschen" an die Menge, immer wieder wurde der WM-Pokal hoch gehoben und ins Publikum gehalten. Derlei unverstellte Freude bei Mannschaft und Anhängern schien ebenfalls noch niemanden zu irritieren. Auch die anwesenden Medienvertreter erweckten keinesfalls den Eindruck, den Ernst der Lage erkannt und das politisch-historisch hoch gefährliche Potenzial der Szenerie begriffen oder auch nur erahnt zu haben. Aber es kam noch ärger.
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Selbst Damen (links) verfielen dem
nationalen Rausch (Foto: Richter/KA) |
Am Brandenburger Tor angekommen, jubelten die zum Teil schon seit den frühen Morgenstunden in Feierlaune ausharrenden 400 000 Besucher der Fanmeile den frischgebackenen Champions ohne jedes schlechte Gewissen zu. Man konnte als neutraler Beobachter beinahe die Impression gewinnen, dass dieser Ausbruch ungetrübter Freude und Begeisterung echt und sogar legitim sei. Schließlich wird man nicht alle Tage Weltmeister. Die sehr guten Leistungen der DFB-Auswahl bei der WM in Brasilien konnten überdies nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Gleichwohl aber hätte schon das 7:1 gegen den Gastgeber im Halbfinale als das gewertet werden müssen, was es war: Eine Demütigung eines mit zahlreichen sozialen Problemen beladenen Landes, die mindestens in dieser Form hätte unterbleiben müssen. Da wurde zweifelsohne mit dem Toreschießen übertrieben. Auf der Fanmeile wurden Trainer und Spieler immer wieder frenetisch gefeiert. Sprechchöre wie "Deutschland, Deutschland" oder "Die Nummer eins der Welt sind wir" erklangen und gaben dem Treiben eine erkennbar "nationale Note". Schon dies hinterließ bei aufmerksamen Beobachtern einen mehr als faden Beigeschmack.
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Deutsche feiern wieder ungeniert die
Herabsetzung anderer Völker
(Foto: Richter/KA)
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Wer naiv genug war, dieses am hellichten Tage und unter den Augen der Weltöffentlichkeit sich vollziehende Geschehen noch als unschuldig-ausgelassene Feier anzusehen, der wurde im weiteren Verlauf der Ereignisse eines Besseren belehrt. Es muss gegen 13 Uhr gewesen sein, als eine Gruppe von Spielern die eigens für die Veranstaltung aufgebaute Bühne mit einem weit ins dichtgedrängte Publikum und sein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer hineinreichenden Laufsteg betrat. Die Nationalspieler waren sich nun nicht zu schade, ein unter Fußballfans gänzlich unbekanntes Lied zu singen, das einem aufrechten Humanisten nur die Schamesröte in sein vom Schock gezeichnetes Gesicht treiben kann. Unter beträchtlicher Anteilnahme des ohnehin aufgeheizten Publikums imitierten die Spieler den geschlagenen argentinischen Gegner als einen auf dem Boden kriechenden Menschen und skandierten dazu: "So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so". Dass der Ausdruck "Gauchos" für unsere lieben Freunde aus Argentinien eine despektierlich zu nennende und spöttisch gemeinte Bezeichnung ist, versteht sich von selbst. Danach standen die besagten Spieler auf und übten gleichsam den aufrechten Gang als stolze Deutsche: "So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so". Diese geschmacklose Kombination aus Herabsetzung des Gegners und eigener Überheblichkeit war offensichtlich beabsichtigt und hat in der deutschen Geschichte eine äußerst verwerfliche Tradition.
Nach der Veranstaltung waren es dann auch zwei Journalisten der Tageszeitungen Die Welt und Frankfurter Allgemeine Zeitung, die diesen üblen Rückfall in überwunden geglaubte Epochen der Geschichte aufdeckten und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dass es zwei konservative Medienvertreter waren, die diesen handfesten Skandal beim Namen nannten, darf als Erfolg jener Kräfte in unserem Land verstanden werden, die sich seit Jahrzehnten um diese für unser Selbstverständnis und unser Ansehen im Ausland so wichtigen Fragen konsequent annehmen. Die "linke politische Korrektheit" ist in der Mitte der Gesellschaft bzw. der Medien endgültig wieder angekommen.
Weitere Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Stündlich wird damit gerechnet, dass der deutsche Botschafter in Buenos Aires im dortigen Außenministerium einbestellt wird. Eine Protestnote an die Uno ist bereits unterwegs. "Eine schlimme Entgleisung und rassistische Kampagne" nennen Vertreter der Grünen, der Linkspartei sowie linker Sozialdemokraten in einer gemeinsamen Erklärung das "vollständig unangemessene Verhalten deutscher Nationalspieler". Ernsthafte Konsequenzen werden verschiedentlich gefordert. So befürwortet etwa Hans-Christian Ströbele von den Grünen eine offizielle Entschuldigung des DFB und der Bundesregierung bei den Argentiniern. Es könne nicht sein, dass es im 21. Jahrhundert noch "Beleidigungen dieser Art unter befreundeten Nationen und zivilisierten Menschen" geben kann. Andere, etwa Aktivisten der Kreuzberger Autonomen, sprachen von einem "Akt des deutschen Militarismus und Imperialismus", der "faschistische Züge" trage. Sie redeten einer Rückgabe des WM-Pokals das Wort und forderten eine "grundsätzliche Abschaffung aller Länderspiele mit Hymnen", da diese "anachronistischen Erscheinungsformen" den Hass auf andere Kulturen und Ethnien produzierten. Dazu passt die Nachricht, dass ein Kreuzberger Kneipenwirt bei Fußballübertragungen stets auf das Abspielen der Nationalhymnen verzichtet und Flaggen oder Trikots in deutschen Landesfarben verboten sind (keine Satire!).
Zu dieser nicht zu unterschätzenden Affäre gehört auch die Abwiegelungs- und Beschwichtigungsstrategie des DFB. Präsident Niersbach erklärt die Vorkommnisse mit "purer Freude" und will in den Aktionen seiner Spieler kein Motiv gesehen haben, das im Sinne eines "sich lustig Machens" über den Gegner zu werten wäre. Scheinbar hat die Spitze des deutschen Fußballverbandes die volle Tragweite dieser Entwicklung ebenso wenig begriffen wie die vor der WM im Trainingslager von Südtirol vom Dortmunder Spieler Großkreutz verursachten Skandale. Der Verteidiger hatte in der Lobby eines Hotels uriniert. Wochen zuvor war die betreffende Person dabei erwischt worden, wie sie einen Döner nach einem Menschen warf. In seiner grenzenlosen Toleranz wurde der Spieler jedoch vom DFB keinesfalls nach Hause geschickt. Armes Deutschland, möchte man da sagen. Das Abendland scheint nun endgültig verloren zu sein.
Ohne dies mit dem Verhalten der Deutschen gleichsetzen zu wollen, muss gleichwohl auch der Umgang anderer Mannschaften und ihrer Fans mit nationaler Symbolik durchaus kritisch hinterfragt werden. Daher seien an dieser Stelle einige Bilder veröffentlicht, die den insgesamt abstoßenden und anachronistischen Grundcharakter solcher Phänomene aufzeigen. Die Fotos sprechen für sich und sollten uns als Warnung dienen.
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Beschwörung der deutsch-amerikani-
schen Freundschaft: Das geht ja gar
nicht (Foto: Richter/KA) |
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Holländischer Nationalist: Lernen denn
die Menschen nichts dazu? Verkehrte
Welt (Foto: Richter/KA) |
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Unverbesserliche zeigen die niederländische Flagge
(Foto: Richter/KA) |
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Belgische Nationalisten sind verkehrt
(Foto: Richter/KA) |
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Auch französischer Nationalismus
ist verkehrt (Foto: Richter/KA)
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Selbst die Brasilianer sind üble
Nationalisten (Foto: Richter/KA)
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