Samstag, 28. Februar 2015

Welt hat endlich Gewissheit: USA an Ukraine-Konflikt schuld

Von unserem Chefredakteur Siegfried Richter

Sternstunde der Medien/Russlandversteher sehen USA als Gefahr für europäische Friedensordnung/Krone-Schmalz und Schulz mahnen konsequente Friedenspolitik gegenüber Russland an
 
Natürlich wieder an allem schuld: Die Vereinigten Staaten
und ihre Flagge (Foto: PD)
Moskau/Donezk. Die Spatzen pfiffen es bereits seit Monaten von den Dächern. Jetzt können sich auch unverbesserliche Freunde der Vereinigten Staaten und notorische Kritiker Russlands nicht mehr der zwingenden Erkenntnis verweigern: Die USA bzw. die Nato als ihr verlängerter Arm sind schuld am Krieg in der Ukraine, wollen eine Neuauflage des Kalten Krieges provozieren und bestätigen damit erneut ihre Existenz als Grundübel einer ansonsten eigentlich friedens- und versöhnungsbereiten Menschheit. Wie in den deutschen Talkshows der letzten Tage zu erfahren war, geht der Konflikt auf der Krim und im Donbass auf eine lange geplante und perfide inszenierte Verschwörung einer Gruppe von erzkonservativen US-Senatoren um den republikanischen Hardliner John McCain zurück. Von den bösen Republikanern angetrieben, konnte auch das Weiße Haus nicht widerstehen. Wieder einmal setzt die US-Außenpolitik auf Solidarität mit angegriffenen Nationen und will Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und das Völkerrecht mit politischer und militärischer Festigkeit garantieren. Welch abwegiger Gedanke, auf den nur Amerikaner kommen können. Wo das doch, wie wir etwa im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Kampf gegen Nazi-Deutschland, dem Sieg des Westens im Kalten Krieg gegen das Sowjetimperium oder der Beendigung des Völkermordes der Serben auf dem Balkan wissen, noch nie funktioniert hat. Aber so sind sie eben, die Amerikaner. Sie haben die Lektionen der Geschichte im Gegensatz zu uns Deutschen nicht begriffen. Der Klügere gibt nach, auch wenn zwischenzeitlich einmal ein paar Menschen oder ganze Völker ihr Leben bzw. ihre Freiheit verlieren. Nur ein entschiedener Kurs der Nachgiebigkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsbrüchen totalitärer Regime und ihrer Unterstützer und Handlanger kann zum ewigen Frieden führen. Frieden mit den Tätern ist die einzig wahre Solidarität mit den Opfern. Da stören ein konsequentes Wertekorsett und seine leidenschaftliche Verteidigung doch nur unseren inneren Frieden als Pazifisten, die sich die Hände nicht schmutzig machen. Guter Wille und Beschwörungsformeln haben immer noch obsiegt.  Das Verdienst, diese tiefen Erkenntnisse intellektueller und moralischer Natur wieder einmal deutlich gemacht zu haben, kommt den deutschen Polit-Talkshows zu. Angesichts der scheinbaren Zurückhaltung der USA im Ukrainekonflikt war in den letzten Monaten beinahe in Vergessenheit geraten, wer natürlich am Ende wieder schuldig sein muss: Amerika. Wer denn auch sonst. Diesen Zusammenhang offengelegt zu haben, ist nicht weniger als eine Sternstunde der Medien gewesen.


Der amerikanische Ansatz, von polnischen, baltischen oder britischen Verantwortlichen geteilt, liegt offen zutage: Russland soll politisch und militärisch unter Druck gesetzt werden, um die mit massivem Nachschub an Soldaten und schwerem Kampfgerär seit Monaten betriebene Unterstützung der prorussischen Separatisten aufzugeben. Die Errichtung der "selbstständigen Republiken" Donezk und Lugansk in der Ostukraine, durch terroristische Aktionen wilder Schlägerbanden widerrechtlich gegründet, soll demnach mit Hilfe einer gestärkten ukrainischen Armee rückgängig gemacht bzw. weitere Landgewinne auf ukrainischem Gebiet verhindert werden. Russland wolle die Ukraine destabilisieren, um seine machtpolitischen Ambitionen zu verfolgen.

Wie wohltuend gegenüber diesem Säbelrasseln der Cowboys von Übersee dagegen der Gegenentwurf der friedlichen europäischen bzw. deutschen Kräfte. Nur durch Appeasement, durch nettes Zureden bei Verhandlungen gepaart mit öffentlichen Bekundungen für Frieden, kann ein Mann wie Putin zur inneren Einkehr gebracht werden. Zwar ist das Konzept bisher noch nicht so recht aufgegangen, die kritischen Betrachtungen der russischen Politik mit ein paar lieb gemeinten Visabeschränkungen und Kontensperrungen für einige russische Oligarchen und Berater im Dunstkreis des Kremls zu garnieren. Aber das wird, wie die Weltgeschichte und auch die jüngere russische Geschichte zeigen, sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Am Ende hat sich das humane Denken auch bei Diktatoren und Imperialisten immer noch durchgesetzt. Daher ist der Appell an Menschlichkeit jetzt oberstes Gebot und erste Bürgerpflicht gerade auch der Deutschen. Da weiß unsere Bundesregierung sicher die absolute Mehrheit der Deutschen auf ihrer Seite.

 So kamen bei den Talkshows der letzten Tage dankenswerterweise gerade jene amerikanischen Aktivitäten, im Stillen und Verborgenen betrieben, ans Tageslicht, die diesen vernünftigen Kurs in Richtung Frieden untergraben würden. So soll Washington 300 Soldaten zu einem Manöver ins Baltikum entsandt haben, um den angeblich verängstigten baltischen Staaten den Rücken zu stärken. In Wirklichkeit bedeutet dies vielmehr eine völlig unnötige Provokation Russlands, zumal eine wie auch immer geartete Angst vor Russland ohnehin deplatziert ist. Gerade die kleinen Nachbarstaaten Russlands müssten diese Erkenntnis doch gerade aus ihren eigenen historischen Erfahrungen ableiten. Wir Deutsche wissen zwar kaum etwas davon, aber dafür umso besser. Möglicherweise steht in diesem Zusammenhang sogar eine Invasion Russlands durch estnische Streitkräfte zu befürchten, bei der US-Militär Pate steht.  Amerikahasser, Liebhaber gelenkter Demokratien, Russlandversteher, links- und rechtsradikale Humanisten und nicht zuletzt Russlands Präsident Putin selbst danken daher für die Aufklärung über die wahren Hintergründe in den Talksendungen von ARD und ZDF. "Das haben wir doch gerne getan und ist doch selbstverständlich", äußern sich die TV-Talkerinnen Will, Maischberger und Illner in einer gemeinsamen Erklärung darüber, dass in ihren Sendungen ausgewiesene Kenner der russischen Seele die Rücksichtnahme gegenüber einer von Freiheit und Demokratie umzingelten und daher zutiefst verstörten Nation über eine stringente Politik zur Wahrung humanistischer und universeller Werte stellen. 

So waren es in den letzten Tagen insbesondere die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, sowie der Vorsitzende des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz (SPD), die Licht ins Dunkel der seit Monaten tobenden Auseinandersetzung in der Ostukraine brachten. Dass die völkerrechtswidrig von Russland annektierte Halbinsel Krim mittlerweile in den Erwägungen Europas und in der öffentlichen Debatte kaum noch eine Rolle spielt, mag ein weiterer Beweis des unerschütterlichen Friedenswillens gegenüber Russland sein. Im Donbass wiederum geht es ohnehin nur vordergründig um einen Konflikt zwischen westlich orientierten Ukrainern und Russland bzw. den Angehörigen der russischen Minderheit. In Wirklichkeit bricht sich immer mehr die Variante der Interpretation Bahn, die links- und rechtsradikale Kreise seit langem präferieren: Der US-Imperialismus will Krieg gegen das friedliche Russland. Wen mögen die Ausführungen von Frau Krone-Schmalz da noch ernsthaft verwundern, wonach durch ständige Provokationen und einen eklatanten Mangel der westlichen Führungsmacht an Rücksichtnahme gegenüber Russland die Ursachen schon kurz nach dem Ende der Sowjetunion in den frühen 90er Jahren gesetzt worden sind. In der Tat hätte mehr Fingerspitzengefühl für die etwas rustikalen Methoden der russischen Politik insbesondere seit Putins Amtsantritt vor Jahren die Situation entspannt. Russland meint es doch auch nur gut, wie eine kleine Übersicht der Verhältnisse zeigt: Überfall auf Georgien unter Berufung auf die verfolgte russische Minderheit als fünfte Kolonne Moskaus, Erpressung der kleineren Nachbarn in Sachen Öl und Gas sowie Manipulation und Einmischung in die inneren Angelegenheiten unabhängiger Staaten zur Festigung geostrategischer und machtpolitischer Anwandlungen im Sinne alten russischen Hegemoniestrebens, militärische Einschüchterungen unartiger Nachbarstaaten, Liaison zwischen Oligarchen und Neoimperialisten im Kreml zum Wohle des neu-alten Russlands, Verfolgung der Opposition, politische Morde, Gleichschaltung der Medien, homophobe Gesetzgebung, Absicherung Serbiens im Sinne der historischen Allianz aus dem Ersten Weltkrieg bei den fortgesetzten Völkermorden des serbischen Regimes von Milosevic u.v.m. Da bleiben die seinerzeitige Einrichtung des Nato-Kooperationsrates mit Russland durch den Westen, die Aufnahme Russlands in die G 8, die Absage an eine eigene militärische Intervention im Ukrainekonflikt ("Russen, nehmt euch was ihr wollt") sowie zahlreiche weitere Versuche, das Riesenreich zu integrieren, natürlich nichts weiter als eine Vorstufe der Kriegstreiberei. Dass die Ukraine nach ihrer Unabhängigkeit seinerzeit im Vertrag von Paris etwa auf Atomwaffen verzichtet hat und Russland etwa auf der Krim alle nur denkbaren Vereinbarungen und Sicherheitsgarantien gegenüber der Ukraine gebrochen hat, sollte man da nicht zu sehr betonen. Was kümmert Russland denn das Völkerrecht oder andere von dem Land selbst unterschriebene bilaterale und sonstige Verträge?  Die Theorie, wonach der Westen eher zu nachsichtig war und auf Russland zu viele Rücksichten genommen und Putin dies als Einladung zur Fortsetzung seines Kurses verstanden hätte, ist doch völlig haltlos und von Strategen im Pentagon in die Welt gebracht worden. Insbesondere den Amis fehlt halt die Sensibilität für die Bedürfnisse totalitärer Mächte auf Kosten kleinerer Länder und ihrer Freiheitsrechte. Schließlich bedeutet die jahrhundertealte Dominaz Russlands bzw. der Sowjetunion eine historisch einwandfreie Legitimation dafür, dass sich Russland weiterhin als Ordnungsmacht in Mittelosteuropa versteht und die beherrschten Völker gefälligst Rücksicht zu nehmen haben. Ein Anruf in Moskau genügt, um nachzufragen, was man darf und was nicht.

Dass es weiterhin zahlreiche Russlandversteher nicht nur etwa bei im Kalten Krieg sozialisierten ehemaligen Moskau-Korrespondenten gibt, für die Kiew immer noch eine Provinzhauptstadt der Sowjetunion zu sein scheint und das ukrainische Volk immer noch ein Wurmfortsatz Großrusslands bedeutet, zeigten besagte Talkshows eindrucksvoll. So war es mit Martin Schulz sogar ein hoher Repräsentant der EU, der mindestens eine erhebliche Mitschuld der Amerikaner sah und dem Anspruch der westlichen Führungsmacht den europäischen Ansatz gegenüberstellte. Amerika solle sich, so war Schulz zu verstehen, gefälligst aus Europa raushalten und die EU ihre Friedensmission erfüllen lassen. Und in der Tat: In der Geschichte und auch beim aktuellen Konflikt hat sich immer wieder gezeigt, dass die USA die europäische Friedensordnung gefährden, während Europa die eigenen Maßstäbe konsequent leben und garantieren kann. Dafür sind die beiden Weltkriege ebenso ein beredtes Beispiel wie der Kalte Krieg zwischen der westlich-demokratischen und der kommunistischen Hemisphäre oder der Balkankrieg in den 90er Jahren. Wer braucht da schon Amerika, um die eigene freiheitlich-rechtsstaatliche Position zu schützen oder auszubauen. Reden und Beschwören statt Handeln. Druck auf totalitäre Mächte ist daher kontraproduktiv. Denn merke: Wenn man den russischen Bären reizt, wird er böse. Und das wollen wir doch nicht, oder? Also: Ami go home, dann klappt es auch mit dem Frieden! Es lebe Europa!!!         


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