Sonntag, 25. Mai 2014

EU-Beitritt der Türkei dringender denn je

Bericht von Lawrence von Arabien

Reformer Erdogan (Foto: World
Economic Forum swiss image.ch/
E.T. Studhalter,
 Lizenz: CC BY-SA 2.0
Kairo/Ankara. Die von vielen Meinungsträgern des öffentlichen Lebens in Deutschland seit Jahren mit Vehemenz geforderte Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Gemeinschaft erscheint nach Auffassung von Beobachtern als dringlicher denn jemals zuvor. Nach der Rede des türkischen Premiers Recep Erdogan in Köln können nur noch unverbesserliche Elemente innerhalb der Mehrheitsgesellschaft und islamophobe Volksverhetzer diesem letzten Schritt zur Neudefinierung und Übergreifung Europas auf die asiatische Landmasse im Wege stehen. Erdogan, der demnächst Präsident seines Landes werden möchte, verteidigte während seiner Wahlkampfrede im exterritorial gelegenen, westlichsten  Wahlbezirk der Türkei seine seit Jahren und zuletzt besonders intensiv betriebenen Reformen.

 
 
Als da wären: Kulturelle Islamisierung und ökonomische Modernisierung sind kein Gegensatz. Entmachtung des Militärs durch konstruierte Prozesse wegen Hochverrats gegen Generäle als letzte Garantie für die einst laizistische Staatsverfassung. Damit einhergehende Beseitigung der Restbestände des lästigen "Kemalismus" als Ausdruck fortschrittlicher Westanbindung durch den "Vater der Türken" Kemal Atatürk. Abschaffung der unabhängigen Justiz zur Verhinderung der Aufdeckung von Korruptionsskandalen des Erdogan-Clans. Niederknüppelung von Demonstranten, die in der Türkei mutig für demokratische Reformen und für eine Zivilgesellschaft eintreten. Gleichschaltung der meisten Medien. Offen antizionistische Hetze gegen Israel und Unterlaufung des Waffenembargos zur Unterstützung palästinensischer Terroristen bzw. Friedenskämpfer. Beleidigung Frankreichs, weil der französische Senat sich erdreistet hatte, eine Resolution gegen den "Völkermord" an den christlichen Armeniern zu verabschieden. Lobbyarbeit für das Türkentum und gegen die Integration der türkischen Minderheit auf deutschem Boden. Hetze gegen Deutschland, weil die großzügige Gewährung von Parallelgesellschaften die rigorose Assimilierung und Benachteiligung der Türken bedeutet. Instrumentalisierung der NSU-Morde für diesen Zweck.
 
Wie notwendig und folgerichtig die geforderte Beschwichtigungspolitik gegenüber diesem nationalistisch-religiösen Geist ist, beweist gerade auch die Armenier-Frage. Es kann in den Augen vieler Türken nicht sein, dass Völkermord Völkermord genannt wird, ohne dass der türkische Staat dagegen vorgeht. Es kann nicht sein, dass die systematische Ermordung von mindestens 1,5 Millionen Menschen und ihre Leugnung ein Hindernis auf dem Weg des Landes in die EU darstellen sollen. Uneinsichtige Konservative und andere Warner haben diese und ähnliche Themen immer wieder instrumentalisiert, um die friedliche Angliederung der Türkei an die EU (oder ist es umgekehrt) zu hintertreiben. Die grundsätzliche Kritik in deutschen Medien und auch von vielen Linken an Erdogan, der als Istanbuler Bürgermeister schon einmal die Minarette von Moscheen mit Bajonetten verglich und als vorbestraft galt, erscheint maßlos übertrieben. Die Proteste einer Minderheit von Aleviten, Demokraten und Humanisten innerhalb der türkischen Minderheit in Deutschland ebenso. Wie unhöflich gegenüber dem Staatsgast. Jetzt rächt sich, dass man den muslimischen Einwanderern mit einem vollständigen Verzicht auf die Einhaltung westlicher Kriterien in Sachen Menschen- und Frauenrechte, Toleranz und Kritik an der Machokultur jugendlicher Gewalttäter etc. nicht noch mehr entgegengekommen ist. Und die Passvergabe hätte logischerweise nicht nach einer Integrationsleistung stehen dürfen, sondern davor.
 
Einwände geografischer, historischer, politischer, kultureller und nicht zuletzt religiöser Art müssen daher als das bezeichnet werden, was sie sind: Obsolet. Das strikte oder auch nur zaghafte Festhalten an zivilisatorischen Errungenschaften Europas und der westlichen Welt ist schädlich und kontraproduktiv. Wer nachgibt, gewinnt. Toleranz mit der Intoleranz erzeugt Toleranz und Humanität. Dies endlich und gerade jetzt zu begreifen, tut mehr denn je Not.                       

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