Mittwoch, 14. Mai 2014

Kultregisseur Dexter Dull beim KA

Von unserem Ressortleiter Kultur Oswald Hundt

Kultregisseur Dull beim KA
(Foto: Richter/KA)
Calau. Der neuseeländische Star- und Kultregisseur Dexter Dull (48), der zur Zeit seinen neuen Film auf einer ausgedehnten Europa-Tournee durch sämtliche Länder südlich des Äquators vorstellt, weilte unlängst in der Redaktion unserer Zeitung. Der sympathische Mann aus Christchurch, der eingeweihten Cineasten als einer der größten Regisseure des angebrochenen 21. Jahrhunderts gilt, erhält in ewig und drei Tagen den begehrten Filmpreis "Die Goldene Tanne von Kanne" aus der Hand des französischen Kulturministers Claude Debussy. Wir wollten mit ihm über Karel Gott und die Tageszeitung Die Welt und seinen neuen Film "Unterwegs" sprechen. Der Begründer der sogenannten "Kiwi-Schule" als ästhetischer Ausdruck einer neuen Generation neuseeländischer Filmemacher allerdings zog es aus künstlerischen Gründen vor, zu schweigen. So lassen wir den meisterhaften und besonders wertvollen Streifen für sich sprechen. Als besonderen Service für unsere Leser haben wir daher neben unserer Kurzbesprechung des Films auch die ungewöhnliche Produktion selbst, der mehrere Oscars sicher sein dürften,  ins Netz gestellt. "Zu Not nehme ich auch einen Lafontaine oder einen Porno-Oscar", ist Dull keinesfalls wählerisch.

 "Unterwegs" von Dexter Dull. Neuseeland 2014. Laufzeit: 234 Min. 
 

Der Film "Unterwegs" ist eine Omarsch an die Gattung der Roadmovies aus den USA. Einfühlsam und doch sensibel führt der als intellektuell, introvertiert und äußerst mitteilungsbedürftig geltende Filmemacher den Zuseher mit auf eine Zugfahrt. Ort und Zeit sind beliebig. Die Kameraführung bleibt stets ruhig und unaufgeregt. Die Sequenzen laufen ab wie in einem Zeitraffer. Einerseits scheint die Zeit still zu stehen und die irdische Vergänglichkeit des Lebens scheinbar verzweifelt aufhalten zu wollen. Diese Melancholie nimmt den Betrachter mit auf eine schier endlose Reise, die schier endlos ist. Gleichzeitig aber spielt sich die nur angedeutete Ereignislosigkeit auf einer zweiten Ebene ab und mündet am Ende des eher kurzen Meisterwerkes in eine fulminante, wie ein ekstatisches Feuerwerk anmutende und alles mitreißende Finalszene. Überbordende Gefühle wechseln sich mit einer nahezu unübersehbaren Geschehensdichte ab und lassen die Augen  des Betrachters, die über Felder schweifen, im gleisenden Licht neuer Bewusstseinsströme zurück. Der Rest ist Verwunderung und eine restlos überwältigende Stimmungsexplosion. Die stringente und zugleich strukturlos angelegte Handlung erweist sich zusammen mit der Kameraführung und ihrer perspektivischen Entwicklung als das, was sie ist: Eine meisterhafte Verarbeitung irdischen Denkens und Fühlens, eine intensive Auseinandersetzung mit dem unsagbaren Verlangen nach einer Verstetigung der Dinge, ohne dabei den emotional aufscheinenden Erlebnishorizont existentieller Menschlichkeit zu negieren. "Bravo", möchte man da dem Autor zurufen und ihm sagen: "Ja verdammt noch einmal, gibt es denn so was auch.  "Ja", würde der so Angesprochene antworten, "so etwas gibt es auch". Wer den Film nicht gesehen hat, wird ihn nicht vermissen, weil er nicht weiß, was er verpasst hat. Größeres Kino war nie.

Fährt in seinen Meisterwerken eine
intellektuell und künstlerisch scharfe
Kante: Dexter Dull (Foto: Richter/KA)
Der Regisseur Dull, ein ausnehmend einnehmender Zeitgenosse, ist ein Menschenfänger. Er gewinnt die Herzen und Seelen seines Publikums durch eine angetäuschte Melancholie, die in seinen bisher 196 Werken regelmäßig einer überpointierten Schlussszene entgegentreibt. Zum Film kam der Absolvent der Filmhochschule Auckland, als sein Vetter aus erster Ehe im benachbarten Australien von einem Känguru angesprungen worden war. Dieses bedrohliche Erlebnis, das das Tier nur mit viel Glück überlebte, rief in dem jungen Mann etwas wach, was nie wieder einschlief. Er drehte, gleichsam wie ein Besessener, Film um Film ab. Ungewöhnlich bleibt, dass es in seinen Beiträgen keinerlei schauspielerisches Personal gibt. "Sein Ansatz besteht ausnahmslos aus dem Zusammenwirken von Zeit und Raum sowie einer seltsam verlorenen Nachdenklichkeit, die sich in ereignislose Ereignisse steigert", beschreibt der australische Filmkritiker Georg Wombat den Ansatz Dulls. Ihm gelinge es mit einfachsten Mitteln, das komplexe Beziehungsgeflecht menschlichen und irdischen Seins freizulegen.  Insbesondere sein 1998 gedrehter Film "Wald aus lauter Bäumen" lässt ein Filmerlebnis aus allegorischem Naturalismus, hemmungslos latenter Offenheit und nebulöser Transparenz zu.

Dass der geniale Hobbykoch, der vor Jahren fast einmal an einem Leberwurstbrötchen in Bangkok erstickt wäre und eine schwere Kindheit (wog zeitweise über 100 Kilogramm) sein Eigen nennt, macht die biografischen Bezüge seines Oeuvres umso bedeutender. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Neuseeländer unrasiert, fern der Heimat, zu spät und mit offener Hose zum Termin in der Redaktion kam. Einem "schlampigen Genie" sei verziehen. Es lebe die Kunst.        

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